Wanderungen durch die Mark Brandenburg
diesem Behufe ruhen die Balken
auf einer Art Drehscheibe, und die Kraft zweier Hän-
539
de reicht völlig aus, den Brückenbaum nach rechts
oder links hin aus dem Wege zu schaffen.
Die zahllosen Wasserarme, die das Grün durch-
schneiden, geben der Landschaft viel von dem Cha-
rakter des Spreewalds und erinnern uns mehr denn
einmal an das Kanalnetz, das die fruchtbaren Land-
striche zwischen Lehde und Leipe durchzieht. Aber
bei aller Ähnlichkeit unterscheiden sich beide Sumpf-
gegenden doch auch wieder. Der Spreewald ist bun-
ter, reicher, schöner. In seiner Grundanlage dem
Luch allerdings nahe verwandt, hat das Leben doch überall Besitz von ihm genommen und heitere Bilder
in seinen einfach grünen Teppich eingewoben. Dörfer
tauchen auf, allerlei Blumen ranken sich um Haus
und Hütte, hundert Kähne gleiten den Fluß entlang,
und weidende Herden und singende Menschen un-
terbrechen die Stille, die auf der Landschaft liegt.
Nicht so im Luch. Der einfach grüne Grund des Tep-
pichs ist noch ganz er selbst geblieben, das Leben
geht nur zu Gast hier, und der Mensch, ein paar
Torfhütten und ihre Bewohner abgerechnet, stieg in
ebendiesen Moorgrund nur hinab, um ihn auszunut-
zen, nicht um auf ihm zu leben. Einsamkeit ist der
Charakter des Luchs. Nur vom Horizont her, fast wie
Wolkengebilde, blicken die Höhendörfer in die grüne
Öde hinein; Gräben, Gras und Torf dehnen sich end-
los, und nichts Lebendes wird hörbar als die Pelotons
der von rechts und links her ins Wasser springenden
Frösche oder das Kreischen der wilden Gänse, die
über das Loch hinziehen. Von Zeit zu Zeit sperrt ein
Torfkahn den Weg und weicht endlich mürrisch zur
Seite. Kein Schiffer wird dabei sichtbar, eine rätsel-
540
hafte Hand lenkt das Steuer, und wir fahren mit stil-
lem Grauen an dem häßlichen alten Schuppentier
vorüber, als wär es ein Ichthyosaurus, ein alter Be-
herrscher dieses Luchs, der sich noch besönne, ob er
der neuen Zeit und dem Menschen das Feld räumen
solle oder nicht.
So hatten wir etwa die Mitte dieser Torfterritorien
erreicht, und die nach Süden zu gelegenen Kirchtür-
me waren uns aus dem Gesicht entschwunden, wäh-
rend die nördlichen noch auf sich warten ließen. Da
brach das Gewitter los, das seit drei Stunden um das
Luch herum seine Kreise gezogen und geschwankt
hatte, ob es auf der Höhe bleiben oder in die Niede-
rungen hinabsteigen sollte. Diese Luchgewitter er-
freuen sich eines allerbesten Rufs; wenn sie kom-
men, kommen sie gut, und ein solches Wetter entlud
sich jetzt über uns. Kein Haus, kein Baum in Näh
oder Ferne; so war es denn das beste, die Reise fort-
zusetzen, als läge Sonnenschein rings um uns her.
Der Regen fiel in Strömen, unser eingeschirrter Torf-
arbeiter tat sein Bestes und trabte gegen Wind und
Wetter an. Der Boden ward immer glitschiger, und
mehr denn einmal sank er in die Knie; aber rasch
war er wieder auf, und unverdrossen ging es weiter.
Wir saßen derweilen schweigsam da, bemaßen das
Wasser im Boot, das von Minute zu Minute stieg, und
blickten nicht ohne Neid auf den vor uns her traben-
den Graukittel, der, in der Lust des Kampfs, Gefahr
und Not einigermaßen vergessen konnte, während
wir in der Lage von Reservetruppen waren, die Gewehr bei Fuß stehen müssen, während die Kugeln
von allen Seiten her einschlagen.
541
Jeder hat solche Situationen durchgemacht und
kennt die fast gemütliche Resignation, die schließlich
über einen kommt. Mit dem Momente, wo man die
letzte trockne Stelle naß werden fühlt, fühlt man
auch, daß der Himmel seinen letzten Pfeil verschos-
sen hat und daß es nur besser werden kann, nicht
schlimmer. Lächelnd saßen wir jetzt da, nichts vor
uns als den graugrünen, mit Regen und Horizont in
eins verschwimmenden Luchstreifen, und sahen auf
den Tropfentanz um uns her, als ständen wir am
Fenster und freuten uns der Wasserblasen auf einem
Teich oder Tümpel.
Endlich aber hielten wir. Wir hatten den ersehnten
Nordrand erreicht, und die Sonne, die, sich durch-
kämpfend, eben ihren Friedensbogen über das Luch
warf, vergoldete den Turm des Dorfes Langen vor
uns und zeigte uns den Weg. In wenigen Minuten
hatten wir das Wirtshaus erreicht, bestellten, in fast
beschwörendem Ton, »einen allerbesten Kaffee« und
baten um die Erlaubnis, am Feuer Platz nehmen und
unsere Garderobe stückweise trocknen zu dürfen.
Und wirklich traten wir gleich danach in die
Weitere Kostenlose Bücher