Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Wirt in der Tür. Wir entscheiden uns endlich
für links und sind infolge dieser Wahl, ohne Wissen
und Wollen, auf der Rohrschen Seite gelandet.
Der Damm oder Fahrweg macht die Grenze: was
links liegt, ist alt-Rohrscher, was rechts liegt, alt-
Jürgaßscher Besitz. Jede Seite hat ihr Herrenhaus
und ihren Park, und nur die Dorfgasse samt Kirchhof
und Kirche bildet das beiden Hälften Gemeinschaftli-
che.
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Wir haben im Krug ein Gespräch angeknüpft und
über die beiden alten Herren von Jürgaß, zwei Brü-
der, die nun seit dreißig Jahren und länger das Zeitli-
che gesegnet haben, ein wenig zu plaudern gesucht,
aber sei's nun, daß unser Wirt, als »Rohrscher«, sich
um die Jürgasse drüben nie recht gekümmert hat,
oder sei's andererseits, daß all die zwischenliegenden
Aussaaten und Ernten ihre Bilder in seiner Erinne-
rung etwas abgeblaßt haben, gleichviel, seine Mittei-
lungen beschränken sich darauf, »dat de een en be-
ten streng wör« und »dat de anner et ümmer wed-
der goodmoaken un 'n Daler gewen deih«. »Awers«
– so schloß er – »he gäw en ümmer so, dat de Bro-
der nix merken künn.«
Wir verabschieden uns nun und treten auf die male-
rische Dorfgasse hinaus. Links vom Wege, von hohen
Ulmen und Linden umstellt, schimmern die weißen
Wände des alten Rohrschen Herrenhauses (eines
weitschichtigen Fachwerkbaus mit schwerfälligen
Flügeln und Doppeldach), das halb gemütlich, halb
spukhaft dreinblickt, je nach der Stimmung, in der
man sich ihm nähert, oder nach der Beleuchtung, die
zufällig um die Kronen der alten Ulmen spielt. Dem
Rohrschen Herrenhause folgt dann die Kirche samt
Schulhaus und Predigerhaus, zwischen denen ein
Garten in leiser Schrägung ansteigt. Es summen Bie-
nen drüberhin, und träumerisch die Steige verfol-
gend, stehen wir plötzlich, statt zwischen Beeten,
zwischen Gräbern. Unwissentlich haben wir den
Schritt aus Leben in Tod getan.
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Die frühgotische Kirche hat einen Schindelturm aus
späterer Zeit. Ihr Inneres ist einfach und erhält nur
durch die Zweiteilung, der wir sofort auch hier wie-
der begegnen, einen bestimmten Charakter. Links
die Rohrsche, rechts die Jürgaßsche Seite: hier ein paar Rohrsche Galanteriedegen aus der Zeit der Zöp-fe, dort ein Jürgaßscher Säbel und Federhut aus der Zeit der Freiheitskriege, hier eine Rohrsche Familiengruft, dort eine Jürgaßsche. Die Jürgaßsche gleicht mehr einer in gleicher Höhe mit dem Kirchenschiffe
befindlichen Grabkammer, durch deren Fensterchen
man die dahinter aufgeschichteten Särge zählen
kann. Anders die Rohrsche Gruft. Über ihrer Ein-
gangstür erhebt sich eine vortreffliche Marmorbüste
(vielleicht von Glume), die wohl eine andere Inschrift
als die folgende verdient hätte: »Bedaure und vereh-
re, billiger Wandersmann, hier noch die Asche eines
Ruhmwürdigen, eines im Leben Gerechten, im Tode
Unverzagten, dessen Rat Land und Leuten treulich geraten , aber wider des Todes allgemeinen Einbruch als eines Landrats (das heißt, trotzdem er ein Landrat war) nichts vermochte. Seine Schwachheit und
Stärke siegen zugleich. Seine Stärke durch weisen Rat wider die Unsterblichkeit. Darum stößt die Fama
durch Posaunen noch seinen Ruhm aus, und die
flüchtige Zeit kann seine ruhmwürdigen Taten nicht
verbergen noch zernichten. Sein Lorbeerkranz grünt
mitten unter Zypressen, und sein Palmbaum trägt
Früchte in Apollens Garten, wo Mars ihm von ferne
steht und den Zutritt scheuet wie ein Unbekannter.
Die Schwachheit siegt durchs Alter und trägt die Krone des Lebens im Glauben davon am Ende.«1)
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Die Jürgaßsche Gruft ist ohne Schmuck und Bild,
aber draußen auf dem Kirchhofe, zwischen Blumen
und Gräbern, steht ein mächtiges Monument das
nicht einem einzelnen Toten, sondern dem ganzen
aus diesem Leben geschiedenen Geschlecht errichtet ist. Die beiden letzten Jürgasse, »de strenge un de
gode Herr«, wiesen in ihrem Testament eine bedeu-
tende Summe zur Aufführung desselben an, und mit
Gewissenhaftigkeit sind die Vollstrecker des Testa-
ments diesem Letzten Willen nachgekommen. Es ist
kein eigentliches Grabmal, sondern, wie schon her-
vorgehoben, ein mehr architektonisch gehaltenes
Monument und stellt auf einem hohen Postamente
von Sandstein, dem als nächstes ein Eisenwürfel
folgt, eine baldachinartige, nach allen vier Seiten hin geöffnete Nische dar, in der, gesenkten Blickes, ein
Engel des Friedens steht. Der
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