Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Eisenwürfel ist mit In-
schriften überdeckt. Was im Durchlesen dieser In-
schriften am meisten überrascht, ist, daß die beiden
letzten Jürgaß einer überaus zahlreichen Familie von
acht Brüdern und einer Schwester angehörten, daß
aber alle acht Brüder starben, ohne Kinder hinterlas-
sen zu haben. Ein neuer Beweis, wie der Prozeß des
Lebens nach frischem Blute verlangt.
Von den Inschriften mögen hier nur die beiden ste-
hen, die, für länger oder kürzer, die Namen der bei-
den letzten Jürgasse der Nachwelt erhalten werden.
Auf dem Seitenfelde zur Linken lesen wir wie folgt:
»Herr Alexander Konstantin Maximilian von Wahlen-
Jürgaß, königlich preußischer Generallieutenant von
der Kavallerie, Drost zu Stückhausen, Ritter vieler
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hoher Orden, Erbherr auf Triglitz, geboren den
15. Junius 1758 zu Ganzer, focht von 1778 bis 1816
in allen preußischen Kriegen, wohnte sechsundzwan-
zig Schlachten und Hauptgefechten bei, ward bei
Hainau durch den Schenkel und bei Ligny durch die
Brust geschossen. Ein Muster der Tapferkeit und der
Herzensgüte , geehrt und geliebt von seinem Könige und von jedermann , starb er zu Ganzer den
8. November 1833.«2) (Dies ist »de gode Herr«.)
Auf dem Seitenfelde zur Rechten begegnen wir einer
doppelten Grabschrift, und zwar der des letzten Jür-gaß und seiner Gemahlin, der letzten Zieten aus dem Hause Wustrau. Jene lautet: »Franz Karl Wilhelm
Rudolf von Wahlen-Jürgaß, Erbherr auf Ganzer und
Triglitz, ward geboren den 14. September 1752 zu
Ganzer und verstarb daselbst, im zweiundachtzigsten
Jahre, den 26. Juni 1834, als das letzte Glied seiner Familie . Er war der treuste Freund seiner Freunde, und alle, die ihn näher kannten , schätzten ihn hoch.«
(Dies ist der ältere Bruder, »de en beten streng
wör«.) Die andere Inschrift lautet: »Frau Johanna
Christiana Sophie von Wahlen-Jürgaß, geborne von
Zieten aus dem Hause Wustrau, ward geboren den
23. Januar 1747 und ehelich verbunden am
23. Oktober 1776 mit Karl von Wahlen-Jürgaß, Erb-
herr auf Ganzer und Triglitz. Ein Muster weiblicher
Tugenden und Größe, entschlief sie sanft den
7. Juni 1829.«
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Diese Frau von Jürgaß, zugleich die letzte Zieten aus dem Hause Wustrau, hat uns vorzugsweise nach
Ganzer geführt, und voll Erwartung, in dem Dorfe,
darin sie so lange lebte, noch ihrem Andenken zu
begegnen, treten wir jetzt von dem Kirchhof aus auf
den Fahrdamm zurück und setzen unsere Wande-
rung bis zum alten Jürgaßschen Herrenhause fort.
Ein Heckenzaun trennt das Haus von der Gasse, von
rechts her lehnen sich Wirtschaftsgebäude, von links
her hohe Parkbäume bis dicht an den Giebel und
geben ein freundliches Bild, aber doch zugleich auch
ein Bild äußerster Schlichtheit, und wären nicht ein
paar Edeltannen und die Malven, die, hoch am Stock
gezogen, ein Stück englischen Rasen umstellen, man
würd eine kleine Pachterswohnung, aber keinen E-
delhof hinter diesem Heckenzaune vermuten. Und
eine Pachterswohnung ist es auch seit des letzten Jürgaß Tode. Wir treten ein und werden freundlich
empfangen. Eine junge Frau kommt unsrer Neugier
entgegen, zeigt uns Küch und Keller, auch das Zim-
mer, wo General Blücher geschlafen3), und führt uns
endlich in den Park hinaus, auf dessen sonnigem
Grün die Schatten der leise bewegten Zweige hin
und her tanzen. Wir nehmen Platz unter einer breit-
blättrigen Platane, wo Tisch und Bank zum Plaudern
einladen, und während allerhand Erfrischungen, und
darunter, als die willkommenste, Milch und Blaubee-
ren, auf den Tisch gestellt werden, geselle sich uns
eine Anverwandte des Hauses, eine schlanke, nicht
mehr junge Dame mit dunklen Augen und feinge-
formtem Mund. Die Pachtersfrau, die bis dahin die
Kosten der Unterhaltung mühsam bestritten, ist au-
genscheinlich froh über den eintreffenden Sukkurs,
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und mit einem kurzen »Tante Helene weiß alles«
ihren Rückzug antretend, eilt sie wieder ins Haus,
um nach dem Rechten zu sehen. Und nun sind wir
allein, und »Tante Helene« legt ihren breiten Som-
merhut beiseite, entweder weil wir im Schatten sit-
zen oder vielleicht auch, um die Schönheit ihres
schwarzen Haares zu zeigen, und während sie mit
dem Band am Hute spielt, beginnen meine Fragen.
Aber wir verirren uns immer wieder in unsrem Ge-
spräche, sind bald in Wustrau bei den Zietens, bald
in Trieplatz bei den Rohrs, bis sie mir die Hand über
den Tisch reicht und mit
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