Wanderungen durch die Mark Brandenburg
erlag ihm.
Zwei Jahre später (das kaufmännische Geschäft war
inzwischen an den Sohn des Herrn von Poincy über-
gegangen) kehrte der ältere de Poincy mit seiner
Familie: Frau, Tochter und Enkelin, nach Europa zu-
703
rück. Die Enkelin war das einzige Kind Moritz von
Rohrs. Man kaufte sich in Frankreich an, und 1854
waren Frau von Poincy, die Schwiegermutter, und
Urania von Rohr, geborne von Poincy, in Trieplatz auf
Besuch; sie mochten Parallelen ziehen zwischen ihrer
Hazienda daheim und dem alten Hofe des »Haupt-
manns von Kapernaum«. Vieles fehlte; aber aller-
dings auch die Sumpfluft, die so frühe schon die
schöne Frau zur Witwe gemacht hatte. Denn die
Dosse ist gesund.
Die Tochter Moritz von Rohrs war nicht mit bei diesem Besuche, war vielmehr in einer französischen
Klosterschule zurückgeblieben. Erst sechzehn Jahre
später lernte sie die Kompatrioten ihres Vaters ken-
nen, als diese, während des siebziger Krieges, vor
dem Kloster Abbaye-aux-Bois ihr Lager aufschlugen.
In diesem Kloster stand das junge Fräulein von Rohr
damals als Novize. Längst seitdem hat sie den
Schleier genommen, die Großeltern sind tot, und nur
die Mutter lebt noch in Paris.
Ein Portrait, das inmitten der Familienbilder in
Trieplatz hängt, mahnt an die nahen Beziehungen
des Hauses Rohr zum Hause de Poincy. Der weiße
Teint, das schwarze Haar, die leuchtenden Augen –
sie geben das typische Bild der schönen Kreolin.
An Sommertagen, wenn der Akazienbaum seine
Zweige bis dicht vor das Fenster streckt, ist es, als
spielten seine Blätterschatten mit Vorliebe um dieses Bild.
704
Und es ist dann wie ein Nicken und Grüßen Jacque-
linens an Urania von Poincy.
Tramnitz
Beneath those rugged elms,
Where heaves the turf in many a mouldring heap,
The rude forefathers of the hamlet sleep.
Thomas Gray
Eine halbe Meile nördlich von Trieplatz liegt Tram-
nitz, ebenfalls ein alt-Rohrsches Gut. Der Weg dahin
hat denselben Einsamkeitscharakter wie die zu Be-
ginn des vorigen Kapitels von mir geschilderte Land-
schaft. Die Dosse-Ufer sind eben von einer ganz be-
sonderen Tristheit, wenigstens soweit der obere Lauf
des Flusses in Betracht kommt. All diese Strecken
veranschaulichen in der Tat jenes märkische Land-
schaftsbild, das im allgemeinen weniger in der Wirk-
lichkeit als in der Vorstellung der Mittel- und Süd-
deutschen existiert.
Dorf Tramnitz wirkt wie ein Kind des Bodens, auf
dem es gewachsen. Es weckt ein Herbstgefühl. Und
auch die Stelle, wo das Herrenhaus gelegen ist, än-
dert nichts an diesem Eindruck. Vielleicht wär es an-
ders, wenn nicht der weiße, ziemlich weitschichtige
705
Bau, vor dem ein paar mächtige Linden aufragen,
eine wahre Mausoleumseinsamkeit um sich her hät-
te. Hat sich doch, seit dem Tode des Vorbesitzers,
aus dem jetzt leerstehenden Herrenhause das Leben
in ein abseits gelegenes einfaches Fachwerkhaus
zurückgezogen, an dessen Schwelle wir von einer
freundlichen alten Dame begrüßt und an einen mit
Meißner Tassen besetzten Kaffeetisch geführt wer-
den.
Die freundliche alte Dame ist »Tante Wilhelmine«.
Sie verwaltet, neben andrem, auch den Anekdoten-
schatz des Hauses, und der Kaffee, von dem wir e-
ben wohlgefällig nippen, wohin könnt er den Gang
der Unterhaltung natürlicher hinüberleiten als zur
Geschichte von »Tante Fiekchen«.
Ebendiese, die zu Beginn des vorigen Jahrhunderts
auf Tramnitz lebte, war um 1733, als Kronprinz
Friedrich in Ruppin stand, eine hochbetagte Dame,
die des Vorrechtes genoß, allen derb die Wahrheit
sagen zu dürfen, am meisten den jungen Offizieren
des Regiments Prinz Ferdinand, wenn diese zum Be-
suche herüberkamen. Einstmals kam auch der Kron-
prinz mit. Er ward inkognito eingeführt, und da ihm
»Tante Fiekchens« Kaffee, der wenig Aroma, aber
desto mehr Bodensatz hatte, nicht wohl schmecken
wollte, so goß er ihn heimlich aus dem Fenster. Aber
Tante Fiekchen wäre nicht sie selber gewesen, wenn
sie's nicht auf der Stelle hätte merken sollen. Sie
schalt denn auch heftig, und als sie schließlich hörte, wer eigentlich der Gescholtene sei, wurde sie nur
noch empörter und rief: »Ah, so. Na, denn um so
706
schlimmer. Wer Land und Leute regieren will, darf
keinen Kaffee aus dem Fenster gießen. Sein Herr
Vater wird wohl recht gehabt haben! « Übrigens wurden sie später die besten Freunde, schrieben sich,
und wenn der König irgendeinen alten Bekannten
aus dem
Weitere Kostenlose Bücher