Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Châ-
teau-Weine, das lange Lagern indes, zu dem die
wirtschaftlichen Normen des Alten die reichste Gele-
genheit geboten hatten, hatte zur Aufbesserung we-
nigstens das möglichste getan und immerhin etwas
Trinkbares hergestellt. Was nicht an Ort und Stelle
ausgetrunken wurde, nahm man in Park und Garten
mit hinauf, und als die letzte Flasche leer war, be-
gann ein Singen und allgemeines Verlangen nach
den Dorfmusikanten, die glücklicherweise nicht ka-
men und den Begräbnistag des letzten Wustrauer
Zieten davor bewahrten, in einem bal champêtre
sein Ende zu finden. Endlich erschienen aus der
Stadt herbeigerufene Polizeisergeanten und räumten
den Park, denselben Park, den der Alte (die beste
Tat seines Lebens) mit soviel Liebenswürdigkeit
durch zwei Menschenalter hin zur Verfügung des
Ruppiner Volks gestellt hatte. Mit Kraftliedern und
Zechgelagen war ihm heute der ›Dank des Volkes‹
dafür abgestattet worden.«
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So der Teil des A. Gentzschen Manuskripts, der sich
mit den Personen und Zuständen einer um mehr als
dreißig Jahre zurückliegenden Epoche beschäftigt.
Alle, die genannt wurden, sind längst vom Schau-
platz abgetreten, vielfach auch schon wieder ihre
Kinder. Trotzdem wird es nicht ausbleiben, daß sich
einzelne durch gegen den Vater oder Großvater ge-
richtete Spöttereien unangenehm berührt fühlen.
Auch das über den alten Grafen Zieten Gesagte wird
einer Beanstandung in einzelnen Gesellschaftskreisen
nicht entgehn. Allen aber möcht ich aus einer langen
literarischen Erfahrung zurufen dürfen: Wer solche
Quellen aus Familienrücksichten absperren will, der
steht nicht bloß der historischen Forschung (zu deren
vorzüglichsten Objekten auch das Studium des Klein-
lebens gehört), sondern vor allem auch sich selbst und den Seinen im Lichte. Das protestantische Volk
verlangt keine Heiligen, eher das Gegenteil; es ver-
langt Menschen1), und alle seine Lieblingsfiguren:
Friedrich Wilhelm I., der große König, Seydlitz, Blü-
cher, Yorck, Wrangel, Prinz Friedrich Karl, Bismarck,
sind nach einer bestimmten Seite hin, und oft nach
mehr als einer Seite hin, sehr angreifbar gewesen.
Der Hinweis auf ihre schwachen Punkte hat aber
noch keinem von ihnen geschadet. Gestalten wie
Moltke bilden ganz und gar die Ausnahme, weshalb
auch die Moltke-Begrüßung vorwiegend eine Moltke-
Bewunderung ist und mehr aus dem Kopf als aus
dem Herzen stammt.
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1. Wir lieben nur das Individuelle «, schreibt der in allem recht behaltende Goethe. »Daher«
(so fährt er fort) »unsere große Freude an
Bekenntnissen, Memoiren, Briefen und Anek-
doten abgeschiedener, selbst unbedeutender
Menschen.« Und er hätte hinzusetzen können,
auch solcher »of a questionable shape«.
4. Vom Bau des Gentzroder Her-
renhauses 1877 (?) bis zum
Mai 1880. Der Krach. Der Prozeß.
Alexander Gentz' Übersiedelung
nach Stralsund. Sein Tod. Versuch
einer Charakteristik seiner selbst
und seines Prozesses
Als Alexander Gentz an seiner »Geschichte der Er-
werbung« von Gentzrode schrieb, stand er, um es zu
wiederholen, auf der Höhe seines Glücks. Er hatte
den vollen Glauben an sich und seinen Stern, und
der Gedanke lag ihm fern, daß eine Wendung der
Dinge je kommen, ihn niederwerfen und demütigen
könne. Gegen Warnerstimmen, an denen es nicht
fehlte, war er taub, wie jeder in gleicher Lage – der
Glückswagen, der ihn trug, mußte sein Ziel erreichen
oder in Stücke gehn. Ein Aufhalten gab es nicht.
Und so kam die Katastrophe.
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Über die dieser Katastrophe voraufgehende Zeit liegt
nur ein kurzer Bericht vor, dem ich folgendes ent-
nehme.
»... Gentzrode wuchs; Wiesen waren neuerdings er-
worben worden, und die Bäume gediehen noch über
Erwarten hinaus, so daß in den Gründerjahren viele
Tausende davon verkauft werden konnten. Ausfälle,
die trotzdem eintraten, konnten durch die reichen
Torfsticherträge leicht gedeckt werden. A. Gentz ver-
folgte rastlos den Plan einer allgemeinen Arrondie-
rung seines Besitzes, sowohl seiner Äcker in Gentz-
rode wie seiner Torfgräbereien im Luch. Die Leute
nannten ihn den ›alten Blücher‹, in Anerkennung der
Energie, mit der er alles durchführte, was er sich
vorgesetzt hatte. Die meisten Kämpfe, deren es vie-
le, sowohl mit den Konkurrenten wie mit der Regie-
rung, gab, kostete das Luch, an dessen wachsenden
Erträgen alles hing. Und diese Kämpfe wurden im
ganzen genommen siegreich geführt.
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