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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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räumen, bloß um unbe-
    quemen Begegnungen aus dem Wege zu gehen. Und
    so blieb er denn.
    Erst nach Ablauf mehrerer Jahre verließ er Ruppin
    und übersiedelte im März 86 nach Stralsund, um
    daselbst ein Geschäft von dem geringen Vermögen
    seiner Frau zu kaufen. Es gelang auch damit. Aber
    sehr bald schon warf ihn Krankheit danieder, und
    von unaufhörlichen Schmerzen gepeinigt, sah er sei-
    ne Kräfte hinschwinden; Abzehrung stellte sich ein,
    und er fühlte die Nähe des Todes. Als er im
    Mai (?) 88 die Ruppiner Zeitung in die Hand nahm
    und las, ›daß die erste Nachtigall im Tempelgarten
    (der ihm neben Gentzrode das Liebste war) geschla-
    gen habe‹, wurd er still und stiller. Er ließ seine Kinder, von denen keins daheim war, aus der Ferne
    kommen und ordnete an, daß er auf dem alten Rup-
    piner Kirchhof an der Seite seiner Eltern begraben
    sein wolle. Bald darnach kam ein Blutsturz, und am
    3. Juli 88 starb er. Nach seinem Willen wurde verfah-

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    ren und seine Leiche nach Ruppin übergeführt. Da
    ruht er in Front der Familienbegräbnisstätte, deren
    Mittelwand die Inschrift trägt:
    Ungunst und Wechsel der Zeiten zerstörte,
    was wir geschaffen,
    Die wir im Leben gekämpft, ruhen im Tode hier aus.«
    Es erübrigt uns noch ein Wort über Erscheinung und
    Charakter dieses eigenartigen Mannes.
    Alexander Gentz war ein echter Sohn seiner Ruppi-
    ner Heimat: lang aufgeschossen, mit anscheinend
    wenig Rückgrat und einem bequemen Schlenker-
    gang, wie die Matrosen ihn haben. Und zu diesem
    sich wiegenden Matrosengange jene blassen, etwas
    vortretenden Amphibienaugen, denen man in dem
    alten Dossaner Gau, dem Lande zwischen Rhin und
    Dosse, so oft begegnet, Augen, die blöd und unbe-
    deutend wirken und auf Mangel an Energie hinzudeu-
    ten scheinen, bis man an einem plötzlichen und bei-
    nahe unheimlichen Aufblitzen wahrnimmt, daß das
    alles nur Schein und Täuschung war und daß hinter
    dieser schlaffen Unbedeutendheit eine ganz unge-
    wöhnliche Tatkraft lauert, Hang ins Weite, Lust am
    Hasardieren, Abenteuerlust. Alles in allem, auf den
    ersten Blick sehr unscheinbare, hinterher aber un-
    gewöhnlich interessante Menschen. Und ein solcher
    interessanter Mensch war auch Alexander Gentz,
    was, so mein ich, selbst von seinen Feinden, deren
    er ein gerüttelt und geschüttelt Maß hatte, nicht
    bestritten werden wird. Seine reichen Gaben freilich,

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    nachdem sie viel Gutes gestiftet, wurden ihm ver-
    hängnisvoll. Von Natur klug und auf Schulen hervor-
    ragend gut unterrichtet, stand ihm, von Beginn sei-
    ner Geschäftsführung an, ein für einen kleinstädti-
    schen Ladenbesitzer ganz ungewöhnliches Maß von
    Bildung zur Seite, das sich durch seine Reisen in
    Westeuropa noch gesteigert und ihm ein etwas
    bedrückliches Gefühl der Überlegenheit gegeben hat-
    te. Zu diesem Gefühl intellektueller Überlegenheit
    gesellte sich alsbald auch noch das Hochgefühl, in-
    nerhalb seines Kreises der reichste Mann zu sein, so
    daß es nur noch seiner Verheiratung mit Helene
    Campe, der klugen und schönen Tochter des als
    Heinrich-Heine-Verleger mit berühmt gewordenen
    Buchhändlers Campe, bedurfte, um sein Selbstgefühl
    bis ins Ungemessene zu steigern. Wie das Turm-
    knopf-Manuskript, aus dem ich Auszüge gegeben,
    deutlich bekundet, sah er auf die ganze Ruppiner
    Welt als auf etwas unendlich Kleines herab und lebte
    sich immer mehr und mehr in ein gewisses, über den
    Personen und selbst über dem Gesetz (soweit die
    »Kleinstädter« es handhabten) stehendes Herrscher-
    gefühl ein, das ihn auch nicht verließ, als er schon
    vor Gericht stand. Vor den Konkursrichter geführt,
    nahm er vor diesem, was ganz seinem Wesen ent-
    sprach, eine derartig legere Haltung an, daß sich der
    Richter gezwungen sah, ihm vor Eintritt in die Ver-
    handlung zuzurufen: »Hut ab; Hände aus den Ho-
    sen!«, ein Zuruf, der (wie ich zufällig weiß) nicht nur das empörte Staunen des Angeklagten, sondern
    auch das seiner Familie wachrief, woran sich, als an
    einem rechten Musterbeispiele, zeigen läßt, in einem
    wie hohen Grade das ganze Haus Gentz ein voll-

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    kommen dynastisches Gefühl ausgebildet hatte.
    A. Gentz stand nicht als einfacher Alexander Gentz,
    sondern als eine Art Karl Stuart vor seinen Richtern,
    der bekanntlich, als ihm während der Verhandlung
    sein Stöckchen aus der Hand fiel, sich wunderte, daß
    niemand der Richter zusprang, das Stöckchen wieder
    aufzuheben und ihm zu überreichen.
    Und mit

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