Wanderungen durch die Mark Brandenburg
unabweisliches Wande-rungsbedürfnis, so gib es auf, für ein Billiges deine
märkische Tour machen zu wollen. Eisenbahnen,
wenn du »ins Land« willst, sind in den wenigsten
Fällen nutzbar; also – Fuhrwerk. Fuhrwerk aber ist
teuer. Man merkt dir bald an, daß du fort willst oder
wohl gar fort mußt, und die märkische Art ist nicht
so alles Kaufmännischen bar und bloß, daß sie dar-
aus nicht Vorteil ziehen sollte. Wohlan denn, es kann
dir passieren, daß du, um von Fürstenwalde nach
Buckow oder von Buckow nach Werneuchen zu
kommen, mehr zahlen mußt als für eine Fahrt nach
Dresden hin und zurück. Nimmst du Anstoß an sol-
chen Preisen und Ärgernissen – so bleibe zu Haus.
Hast du nun aber alle diese Punkte reiflich erwogen,
hast du, wie die Engländer sagen, »deine Seele fertig
gemacht« und bist du zu dem Resultate gekommen:
»Ich kann es wagen«, nun denn, so wag es getrost.
Wag es getrost, und du wirst es nicht bereuen. Ei-
gentümliche Freuden und Genüsse werden dich be-
gleiten. Du wirst Entdeckungen machen, denn über-
all, wohin du kommst, wirst du, vom Touristenstand-
punkt aus, eintreten wie in »jungfräuliches Land«.
Du wirst Klosterruinen begegnen, von deren Existenz
höchstens die nächste Stadt eine leise Kenntnis hat-
te; du wirst inmitten alter Dorfkirchen, deren zerbrö-
ckelter Schindelturm nur auf Elend deutete, große
Wandbilder oder in den treppenlosen Grüften reiche
Kupfersärge mit Kruzifix und vergoldeten Wappen-
schildern finden; du wirst Schlachtfelder überschrei-
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ten, Wendenkirchhöfe, Heidengräber, von denen die
Menschen nichts mehr wissen, und statt der Nach-
schlagebuchs- und Allerweltsgeschichten werden
Sagen und Legenden und hier und da selbst die
Bruchstücke verklungener Lieder zu dir sprechen.
Das Beste aber, dem du begegnen wirst, das werden
die Menschen sein, vorausgesetzt, daß du dich dar-
auf verstehst, das rechte Wort für den »gemeinen
Mann« zu finden. Verschmähe nicht den Strohsack
neben dem Kutscher, laß dir erzählen von ihm, von
seinem Haus und Hof, von seiner Stadt oder seinem
Dorf, von seiner Soldaten- oder seiner Wanderzeit,
und sein Geplauder wird dich mit dem Zauber des
Natürlichen und Lebendigen umspannen. Du wirst,
wenn du heimkehrst, nichts Auswendiggelerntes ge-
hört haben wie auf den großen Touren, wo alles sei-
ne Taxe hat; der Mensch selber aber wird sich vor dir
erschlossen haben. Und das bleibt doch immer das
Beste.
Berlin, im August 1864
Th. F .
Vorwort zur Volksausgabe
Der erste Band der »Wanderungen« – dem die drei
andern in rascher Reihenfolge folgen werden – er-
scheint hier in einer Volksausgabe, die, wie dies
schon bei den frühren Auflagen der Fall war, aber-
mals eine nicht unbeträchtliche Erweiterung erfahren
hat. Das Kapitel »Wilhelm Gentz«, in dem ich zu
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meiner Freude viel Autobiographisches mitteilen oder
doch benutzen konnte, ist neu, während das den
Lebensgang von Alexander Gentz darstellende Kapi-
tel »Gentzrode« einer zugleich die mannigfachsten
Verhältnisse der Stadt wie der Grafschaft behandeln-
den Umarbeitung unterzogen wurde. Ein weiterer
Aufsatz, den ich mit Rücksicht auf die hervorragende
Bedeutung des darin zu Schildernden: Geheimerat
Hermann Wagener (»Kreuz-Zeitungs-Wagener«, ge-
boren am 8. März 1815 im Pfarrhause zu Segeletz),
diesem ersten Bande gerne noch hinzugefügt hätte,
mußte mit Rücksicht auf den ohnehin überschritte-
nen Raum zurückgestellt werden. Vielleicht daß sich
später, wenn auch von andrer Hand, eine Einreihung
ermöglicht.
Berlin, 9. März 1892
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Am Ruppiner See
Wustrau
Da liegen wir zwei beide
bis zum Appell im Grab.
Der Ruppiner See, der fast die Form eines halben
Mondes hat, scheidet sich seinen Ufern nach in zwei
sehr verschiedene Hälften. Die nördliche Hälfte ist
sandig und unfruchtbar und, die freundlich gelege-
nen Städte Alt- und Neu-Ruppin abgerechnet, ohne
allen malerischen Reiz, die Südhälfte aber ist teils
angebaut, teils bewaldet und seit alten Zeiten her
von vier hübschen Dörfern eingefaßt. Das eine dieser
Dörfer, Treskow, war bis vor kurzem ein altes Käm-
mereigut der Stadt Ruppin; die drei andern: Gnewi-
kow, Karwe und Wustrau, sind Rittergüter. Das ers-
tere tritt aus dem Schilf- und Waldufer am deutlichs-
ten hervor und ist mit seinem Kirchturm und seinen
Bauerhäusern eine besondere Zierde des Sees. Es
gehörte seit Jahrhunderten
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