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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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bereitet wur-
    den. Einheimische Arbeit war auch die Leinewand, in
    welche die Nation sich kleidete und wovon sie zu
    Segeln und Zelten große Mengen gebrauchte. Es ist
    also wohl nicht zu bezweifeln, daß der Webstuhl im
    Wendenlande bekannt war wie im ganzen Norden bis
    nach Island und daß die Hände, welche den Flachs
    und den Hanf dem Erdboden abgewannen, ihn auch
    zu verarbeiten verstanden. Die Hauptbeschäftigun-
    gen blieben freilich Jagd und Fischerei, daneben die
    Bienenzucht . Das Land wies darauf hin. Noch jetzt in den slawischen Flachlanden Osteuropas, auf den
    Strecken zwischen Wolga und Ural, wo weite Heiden
    mit Lindenwäldern wechseln, begegnen wir densel-
    ben Erscheinungen, derselben Beschäftigung. Die
    Honigerträge waren reich und wichtig, weil aus ihnen
    der Met gewonnen wurde. Bier wurde aus Gerste
    gebraut. Die Fische wurden frisch oder eingesalzen
    gegessen, denn man benutzte die Solquellen und
    wußte das Salz aus ihnen zu gewinnen. Vieles spricht
    dafür, daß sie selbst Bergbau trieben und das Eisen
    aus dem Erze zu schmelzen verstanden.
    Noch ein Wort über die nationale Kleidung der Wenden. Es liegen nur Andeutungen darüber vor. Daß sie
    so gewesen sei oder auch nur ähnlich, wie die Wen-
    den sie jetzt noch tragen, ist wohl falsch. Die wendi-
    sche Tracht entwickelte sich in den wendisch geblie-
    benen Gegenden unter dem Einfluß wenn nicht der
    deutschen Mode, so doch des deutschen Stoffs und
    Materials, und es bedarf wohl keiner Versicherung,
    daß die alten ursprünglichen Wenden weder Falten-

    1607
    röcke noch Zwickelstrümpfe, weder Manchestermie-
    der noch Überfallkragen gekannt haben. All dies ist
    ein in spätern Kulturzeiten Gewordenes, an dem die Wendenüberreste nolens volens teilnehmen mußten.
    Giesebrecht beschreibt ihre Kleidung wie folgt: »Zur
    nationalen Kleidung gehörte ein kleiner Hut, ein O-
    bergewand, Unterkleider und Schuhe oder Stiefel;
    barfuß gehen wurde als ein Zeichen der äußersten
    Armut betrachtet. Die Unterkleider konnten gewa-
    schen werden; der Stoff, aus dem sie bestanden,
    war also vermutlich Leinewand. Das Oberkleid war
    wollen .« Über Schnitt und Kleidung und die bevorzugten Farben wird nichts gesagt, doch dürfen wir
    wohl annehmen, daß sich eine Vorliebe für das Bunte

darin aussprach. Der kleine Hut und die leinenen
    Unterkleider: Rock, Weste, Beinkleid, finden sich
    übrigens noch bis diesen Tag bei den Spreewalds-
    wenden vor. Nur die Frauentrachten weichen völlig
    davon ab.

    1608
    3. Charakter. Begabung. Kultus

    In trotzigem Mut
    Gastfrei und gut,
    Haben für ihre Götter und Sitten
    Sie wie die Märtyrer gelitten.

    Nachdem wir bis hierher die äußere Erscheinung betont und die Frage zu beantworten gesucht haben:
    Wie sahen die alten Wenden aus? wie wohnten sie?
    wie beschäftigten und wie kleideten sie sich?, wen-
    den wir uns in folgendem mehr ihrem geistigen Le-
    ben zu, der Frage: Wie war ihr Charakter, ihre geis-
    tige Begabung, ihr Rechtssinn, ihre Religiosität?
    Die Wenden haben uns leider kein einziges Schrift-
    stück hinterlassen, das uns dazu dienen könnte, die
    Schilderungen, die uns ihre bittern Feinde, die Deut-
    schen, von ihnen entworfen haben, nötigenfalls zu
    korrigieren. Wir hören eben nur eine Partei sprechen, dennoch sind auch diese Schilderungen ihrer Gegner
    nicht dazu angetan, uns mit Abneigung gegen den
    Charakter der Wenden zu erfüllen. Wir begegnen
    mehr liebenswürdigen als häßlichen Zügen, und wo
    wir diese häßlichen Züge treffen, ist es gemeinhin
    unschwer zu erkennen, woraus sie hervorgingen.
    Meist waren es Repressalien, Regungen der Men-

    1609
    schennatur überhaupt, nicht einer spezifisch bösen
    Menschennatur.
    Zwei Tugenden werden den Wenden von allen deut-
    schen Chronikenschreibern jener Epoche: Widukind,
    Thietmar, Adam von Bremen, zuerkannt: sie waren
    tapfer und gastfrei. Ihre Tapferkeit spricht aus der
    ganzen Geschichte jener Epoche, und der Umstand,
    daß sie, trotz Fehden und steter Zersplitterung ihrer
    Kräfte, dennoch den Kampf gegen das übermächtige
    Deutschtum zwei Jahrhunderte lang fortsetzen konn-
    ten, läßt ihren Mut in allerglänzendstem Lichte er-
    scheinen. Sie waren ausgezeichnete Krieger, zu de-
    ren angeborner Tapferkeit sich noch andere kriegeri-
    sche Gaben, wie sie den Slawen eigentümlich sind,
    gesellten: Raschheit, Schlauheit, Zähigkeit. Hierin
    sind alle deutschen Chronisten einig. Ebenso einig
    sind sie, wie schon hervorgehoben, in

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