Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Heiden
unsere christlichen Missionare selbstverständlich am
meisten interessieren mußte, so ist es begreiflich,
daß wir über diesen Punkt unserer liutizischen Vor-
bewohner am besten unterrichtet sind. Die Nachrich-
ten, die uns geworden, beziehen sich in ihren Details
zwar überwiegend auf jene zwei Haupttempelstätten
des Wendenlandes, die nicht innerhalb der Mark, sondern die eine (Rethra) hart an unserer Grenze,
die andere (Arkona) auf Rügen gelegen waren; aber
wir dürfen fast mit Bestimmtheit annehmen, daß alle
diese Beschreibungen auch auf die Tempelstätten
unserer märkischen Wenden passen, wenngleich
dieselben, selbst Brennabor nicht ausgeschlossen,
nur zweiten Ranges waren.
Die wendische Religion kannte drei Arten der Anbe-
tung:
Naturanbetung (Stein, Quelle, Baum, Hain);
Waffenanbetung (Fahne, Schild, Lanze);
Bilderanbetung (eigentlicher Götzendienst).
1613
Die Natur war der Boden, aus dem der wendische
Kultus aufwuchs; die spätere Bilder anbetung war nur Natur anbetung in anderer Gestalt. Statt Stein, Quelle, Sonne etc., die ursprünglich Gegenstand der An-
betung gewesen waren, wurden nunmehr Gestalten
angebetet, die Stein, Quelle, Sonne etc. bildlich dar-
stellten.
Die Wenden hatten in ihrer Religion einen Dualismus schwarzer und weißer Götter, einer lichten Welt auf der Erde und eines unterirdischen Reiches der Finsternis. Die Einheit lag im Jenseits, im Himmel.
An und in sich selbst unterschied der Wende Leib
und Seele, doch scheint ihm die Menschenseele der
Tierseele verwandt erschienen zu sein. Wenigstens
glaubte er nicht an persönliche Unsterblichkeit. Die
Seele saß im Blut, aber war doch wieder getrennt
davon. Strömte das Blut des Sterbenden zu Boden,
so flog die Seele aus dem Munde und flatterte zum
Schrecken aller Vögel, nur nicht der Eule, so lange
von Baum zu Baum, bis die Leiche verbrannt oder
begraben war.
Die alten Chronisten haben uns die Namen von vier-
zehn wendischen Göttern überliefert. Unter diesen
waren die folgenden fünf wohl die berühmtesten:
Siwa (das Leben); Gerowit (der Frühlingssieger);
Swantewit (der heilige oder helle Sieger); Radegast
(die Vernunft, die geistige Kraft); Triglaw (der Drei-
köpfige. Ohne bestimmte Bedeutung).
1614
Vom Siwa haben wir keine Beschreibung. Gerowit,
der Frühlingssieger, war mit kriegerischen Attributen
geschmückt, mit Lanzen und Fahnen, auch mit ei-
nem großen kunstvollen, mit Goldblech beschlagenen
Schild. Radegast war reich vergoldet und hatte ein
mit Purpur verziertes Bett. Noch im fünfzehnten
Jahrhundert hing in einem Fenster der Kirche zu Ga-
debusch eine aus Erz gegossene Krone, die angeblich
von einem Bilde dieses Gottes herstammte. Swante-
wit hatte vier Köpfe, zwei nach vorne, zwei nach
rückwärts gewandt, die wieder abwechselnd nach
rechts und links blickten. Bart und Haupthaar war
nach Landessitte geschoren. In der rechten Hand
hielt der Götze ein Horn, das mit verschiedenen Ar-
ten Metall verziert war und jährlich einmal mit Ge-
tränk angefüllt wurde; der linke Arm war bogenför-
mig in die Seite gesetzt, die Kleidung ein Rock, der
bis an die Schienbeine reichte. Diese waren von an-
derem Holz als die übrige Figur und so künstlich mit
den Knien verbunden, daß man nur bei genauer Be-
trachtung die Fugen wahrnehmen konnte. Die Füße
standen auf der Erde und hatten unter dem Boden ihr Fußgestell. Das Ganze war riesenhaft, weit über
menschliche Größe hinaus. Endlich Triglaw hatte drei
Köpfe, die versilbert waren. Ein goldener Bund ver-
hüllte ihm Augen und Lippen.
Diese Götter hatten überall im Lande ihre Tempel,
nicht nur in Städten und Dörfern, sondern auch in
unbewohnten Vesten, sogenannten »Burgwällen«,
und zwar auf Hügeln und Klippen, in Seen und Wäl-
dern. Wahrscheinlich hatte jeder »Gau«, deren es im
Lande zwischen Elbe und Oder etwa fünfundvierzig
1615
gab, einen Haupttempel, ähnlich wie es in späterer
christlicher Zeit in jedem größeren Distrikt eine Bi-
schofskirche, einen Dom, ein Kloster gab. Dieser
Haupttempel konnte in einer Stadt sein, aber auch
ebensogut in einem »Burgwall«, der dann nur den
Tempel umschloß und etwa einem Berge mit einer
berühmten Wallfahrtskirche entsprach. In Julin, Wol-
gast, Gützkow, Stettin, Malchow, Plön, Jüterbog und
Brandenburg werden solche Städtetempel eigens
erwähnt. Unzweifelhaft aber gab es deren an ande-
ren Orten noch als an den vorstehend
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