Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Strelitz,
Prillwitz, Kuhschwanz. Der letztere Ort, unpo-
etischen Klanges, hat zur Zeit die größten
Chancen, als »Rethra« anerkannt zu werden.
1600
2. Von dieser Schlacht bei Lunkini (Lenzen) fin-
det sich in Widukinds »Sächsischen Geschich-
ten« eine ausführliche Beschreibung. Die
Christen belagerten Lunkini, als die Nachricht
eintraf, daß ein großes Wendenheer zum Ent-
satz der bedrängten Festung heranrücke und
während der Nacht das Lager der Christen
überfallen wolle. Ein furchtbares Unwetter in-
des, heftige Regengüsse hinderten den Angriff
des Feindes. So kam der Morgen, und die
Christen schickten sich nun ihrerseits zum
Angriff an. Die Zahl der Wenden war so groß,
daß, als die Sonne jetzt hell auf die durchnäß-
ten Kleider der hunderttausend Wenden
schien, ein Dampf zum Himmel aufstieg, der
sie wie in eine Nebelwolke hüllte, während die
Christen in hellem Sonnenlicht heranzogen
und ob dieser Erscheinung voll Hoffnung und
Zuversicht waren. Nach hartem Kampfe flo-
hen die Wenden; da ihnen aber eine Abtei-
lung den Weg verlegt hatte, so stürzten sie
einem See zu, in dem Unzählige ertranken.
Die Chronisten geben das Wendenheer auf
200 000 Mann an. »Die Gefangenen wurden
alle, wie ihnen verheißen, an einem Tage ge-
köpft.«
1601
2. Lebensweise. Sitten. Tracht
Sie spinnen,
Haben Linnen,
Sie regeln
Den Fluß und das Wehr,
Und mit Schiffen und Segeln
Sind sie zu Hause auf offnem Meer.
Die Frage ist oft aufgeworfen worden, ob die Wenden
wirklich auf einer viel niedrigeren Stufe als die vor-
dringenden Deutschen gestanden hätten, und diese
Frage ist nicht immer mit einem bestimmten »Ja«
beantwortet worden. Sehr wahrscheinlich war die
Superiorität der Deutschen, die man schließlich wird
zugeben müssen, weniger groß, als deutscherseits vielfach behauptet worden ist.
Die Wenden, um mit ihrer Wohnung zu beginnen,
hausten keineswegs, wie ein mir vorliegender Stich
sie darstellt, in verpalisadierten Erdhöhlen, um sich
gleichzeitig gegen Wetter und Wölfe zu schützen; sie
hatten vielmehr Bauten mannigfacher Art, die durch-
aus wirklichen Häusern entsprachen. Daß von ihren
Gebäuden, öffentlichen und privaten, kein einziges
bestimmt nachweisbar auf uns gekommen ist, könn-
te dafür sprechen, daß diese Bauten von einer inferi-
oren Beschaffenheit gewesen wären; wir dürfen aber
1602
nicht vergessen, daß die siegreichen Deutschen na-
türlich alle hervorragenden Gebäude, die sämtlich
Tempel oder Vesten waren, sei es aus Rache oder sei
es zu eigner Sicherheit, zerstörten, während die
schlichten Häuser und Hütten im Laufe der Jahrhun-
derte sich natürlich ebensowenig erhalten konnten
wie deutsche Häuser und Hütten aus jener Zeit.
Die Wenden, soviel steht fest, hatten verhältnismä-
ßig wohleingerichtete Häuser, und die Frage bleibt
zunächst nur, wie waren diese Häuser. Wahrscheinlich sehr verschiedener Art. Wie wir noch jetzt, oft
bunt durcheinander, noch häufiger nach Distrikten
geschieden, Lehmkaten, Fachwerk-, Feldstein- und
Backsteinhäuser finden, der Stroh-, Schilf-, Schindel-
und Ziegeldächer ganz zu geschweigen, so war es
auch in alten Wendenzeiten, nur noch wechselnder,
nur noch abhängiger von dem Material, das gerade
zur Hand war. In den Fischerdörfern an der Spree
und Havel hin, in den Sumpfgegenden, die kein an-
deres Material kannten als Elsen und Eichen, waren
die Dörfer mutmaßlich Blockhäuser, wie man ihnen
bis diesen Tag in den Spreewaldgegenden begegnet;
auf dem feldsteinübersäten Barnim-Plateau richteten
sich, wie noch jetzt vielfach in den dortigen Dörfern
geschieht, die Wohnungen höchstwahrscheinlich aus
Feldstein auf; in fruchtbaren Gegenden aber, wo der
Lehm zutage lag, wuchs das Lehm- und das Ziegel-
haus auf, denn die Wenden verstanden sich sehr
wohl auf die Nutzung des Lehms und sehr wahr-
scheinlich auch auf das Ziegelbrennen. Daß sie unter
ihrem Gerät nachweisbar auch den Mauer hammer
hatten, deutet wenigstens darauf hin. Einzelne dieser
1603
Dinge sind nicht geradezu zu beweisen, aber sie
müssen so gewesen sein nach einem Naturgesetz,
das fortwirkt bis auf diesen Tag. Armes oder unkulti-
viertes Volk baut sich seine Wohnungen aus dem,
was es zunächst hat: am Vesuv aus Lava, in Irland
aus Torf, am Nil aus Nilschlamm, an den Pyramiden
aus Trümmern vergangener Herrlichkeit. So war es
immer, wird es immer sein. Und so war es auch bei
den
Weitere Kostenlose Bücher