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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Anerkennung
    der wendischen Gastfreundschaft. »Um Aufnahme zu
    bitten hatte der Fremde in der Regel nicht nötig; sie
    wurde ihm wetteifernd angeboten. Jedes Haus hatte
    seine Gastzimmer und immer offne Tafel. Freigebig
    wurde vertan, was durch Ackerbau, Fischfang, Jagd
    und in den größeren Städten auch wohl durch Handel
    und Gewerbe gewonnen worden war. Je freigebiger
    der Wende war, für desto vornehmer wurde er
    gehalten und für desto vornehmer hielt er sich
    selbst. Wurde – was übrigens äußerst selten vorkam
    – von diesem oder jenem ruchbar, daß er das Gast-
    recht versagt habe, so verfiel er allgemeiner Verach-
    tung, und Haus und Hof durften in Brand gesteckt
    werden.«

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    Sie waren tapfer und gastfrei, aber sie waren falsch
    und untreu, so berichten die alten Chronisten weiter.
    Die alten Chronisten sind indessen ehrlich genug,
    hinzuzusetzen: »untreu gegen ihre Feinde «. Dieser Zusatz legt einem sofort die Frage nahe: Wie waren
    aber nun diese Feinde? Waren sie, ganz von aller
    ehrlichen Feindschaft, von offenem Kampfe abgese-
    hen, waren diese Feinde ihrerseits von einer Treue,
    einem Worthalten, einer Zuverlässigkeit, die den
    Wenden ein Sporn hätte sein können, Treue mit
    Treue zu vergelten?
    Die Erzählungen der Chronisten machen uns die
    Antwort auf die Frage leicht; in rühmlicher Unbefan-
    genheit erzählen sie uns die endlosen Perfidien der
    Deutschen. Dies erklärt sich daraus, daß sie, von
    Parteigeist erfüllt und blind im Dienst einer großen
    Idee, die eigenen Perfidien vorweg als gerechtfertigt
    ansahen. Dagegen war wendischer Verrat einfach
    Verrat und stand da, ohne allen Glorienschein, in
    nackter, alltäglicher Häßlichkeit. Der Wende war ein
    »Hund«, ehrlos, rechtlos, und wenn er sich unerwar-
    tet aufrichtete und seinen Gegner biß, so war er un-
    treu. Ein Hund darf nicht beißen, es geschehe ihm,
    was da wolle. Die Geschichte von Mistewoi haben wir
    gehört, sie zeigt die schwindelnde Höhe deutschen
    Undanks und deutscher Überhebung. In noch
    schlimmerem Lichte erscheint das Deutschtum in der
    Geschichte von Markgraf Gero. Dieser, wie in Balla-
    den oft erzählt, ließ dreißig wendische Fürsten, also
    wahrscheinlich die Häupter fast aller Stämme zwi-
    schen Elbe und Oder, zu einem Gastmahl laden,
    machte die Erschienenen trunken und ließ sie dann

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    ermorden. Das war 939. Nicht genug damit. Im sel-
    ben Jahre vollführte er einen zweiten List- und Ge-
    waltstreich. Den Tugumir, einen flüchtigen Fürsten
    der Heveller, den er durch Versprechungen auf seine
    Seite zu ziehen gewußt hatte, ließ er nach Brennabor
    zurückkehren, wo er Haß gegen die Deutschen heu-
    cheln und dadurch die alte Gunst seines Stammes
    sich wiedererobern mußte. Aber kaum im Besitz die-
    ser Gunst, tötete Tugumir seinen Neffen, der in wirk-
    licher Treue und Aufrichtigkeit an der Sache der
    Wenden hing, und öffnete dann dem Gero die Tore,
    dessen bloßes Werkzeug er gewesen war. Das waren
    die Taten, mit denen die Deutschen – freilich oft un-
    ter Hilfe und Zutun der Wenden selbst – voranschrit-
    ten. Weder die Deutschen noch ihre Chronisten, zum
    Teil hochkirchliche Männer, ließen sich diese Verfah-
    rungsweise anfechten, klagten aber Mal auf Mal über
    die »Falschheit der götzendienerischen Wenden«.
    Die Wenden waren tapfer und gastfrei und, wie wir
    uns überzeugt halten, um kein Haar falscher und
    untreuer als ihre Besieger, die Deutschen; aber in
    einem waren sie ihnen allerdings unebenbürtig, in
    jener gestaltenden, große Ziele von Generation zu
    Generation unerschütterlich im Auge behaltenden
    Kraft, die zu allen Zeiten der Grundzug der germani-
    schen Race gewesen und noch jetzt die Bürgschaft
    ihres Lebens ist. Die Wenden von damals waren wie
    die Polen von heut . Ausgerüstet mit liebenswürdigen und blendenden Eigenschaften, an Ritterlichkeit ihren
    Gegnern mindestens gleich, an Leidenschaft, an Op-
    fermut ihnen vielleicht überlegen, gingen sie den-
    noch zugrunde, weil sie jener gestaltenden Kraft

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    entbehrten. Immer voll Neigung, ihre Kräfte nach
    außen hin schweifen zu lassen, statt sie im Zentrum
    zu einen, fehlte ihnen das Konzentrische, während
    sie exzentrisch waren in jedem Sinne. Dazu die indi-
    viduelle Freiheit höher achtend als die staatliche Fes-
    tigung – wer erkennte in diesem allem nicht pol-
    nisch-nationale Züge?
    Wir sprechen zuletzt von dem Kultus der Wenden.
    Weil die religiöse Seite der zu bekehrenden

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