Wanderungen durch die Mark Brandenburg
stärkste Punkt der Lehniner Weissa-
gung aber ist meinem Dafürhalten nach ihr Inhalt , ihr Geist , ihr Ton .
Sehen wir, wogegen die protestantischen Kritiker
sich richteten. Sie haben zunächst als Verdacht er-
weckende Punkte hervorgehoben, erstens, daß der
Prophet, wenn er denn nun mal durchaus ein solcher
sein solle, vielfach falsch prophezeit, zweitens aber, daß er in vorhohenzollernscher Zeit bereits antiho-henzollersch gesprochen habe. Dies deute auf späte-
1692
re Zeiten, wo es bereits Sympathien und Antipathien
in betreff der Hohenzollern gegeben. Auf beide Ein-
wände ist die Antwort leicht.
Was die Irrtümer des Propheten Hermann angeht, so
hat es sich ja niemals darum gehandelt, endgültig
festzustellen, ob Mönch Hermann richtig prophezeit
habe oder falsch, es hat sich bei dieser Kontroverse
immer nur darum gehandelt, ob er überhaupt ge-
weissagt habe . Wenn nun aber einerseits die Prophetie keine Garantie übernimmt, daß alles Prophezeite
zutreffen muß, so übernimmt sie noch viel weniger –
und hiermit fassen wir den zweiten Punkt ins Auge –
die Verpflichtung, kommenden Herrschergeschlech-
tern, gleichsam in antizipierter Loyalität, angenehme
Dinge zu sagen. Der Prophet sagt die Dinge so, wie
er sie sieht , und kümmert sich nicht darum, wie kommende Zeiten sich zu den Menschen und Taten
stellen werden, die er, lediglich kraft seiner Kraft,
vorweg hat in die Erscheinung treten sehn. Nehmen wir einen Augenblick an, die Prophezeiung sei echt,
so liegt doch für einen gläubigen Zisterzienser-
mönch, der plötzlich, inmitten seiner Visionen, die
Gestalt Joachims II. vor sich hintreten sieht, nicht
der geringste Grund vor, warum er nicht gegen den
Schädiger seiner Kirche und seines Klosters vorweg
die heftigsten Invektiven schleudern sollte. Er weiß
nicht, daß er Joachim heißen, er weiß auch nicht,
daß er einem bestimmten Geschlecht, das den Na-
men der Hohenzollern führt, zugehören wird, er sieht
ihn nur, ihn und die Tat, die er vorhat – das genügt,
ihn zu verwerfen. Dies sagen wir nicht, wie schon
angedeutet, zur Rechtfertigung dieser speziellen Pro-
1693
phezeiung oder als Beweis für ihre Echtheit, sondern
nur zur Charakterisierung aller Prophetie überhaupt.
Wenn nun weder die Irrtümer, die mit drunterlaufen,
noch der antihohenzollernsche Geist, der aus dieser
sogenannten Weissagung spricht, etwas Erhebliches
gegen die Echtheit beibringen können, so ist doch
ein dritter Punkt allerdings ernster in Erwägung zu
ziehn. Alle protestantischen Angreifer der Weissa-
gung (mit Ausnahme W. Meinholds) sind dahin über-
eingekommen, daß die sogenannte Lehninsche Weis-
sagung in ersichtlich zwei Teile zerfalle, in eine grö-
ßere Hälfte, in der es der, nach Annahme der Geg-
ner, um 1690 lebende Verfasser leicht gehabt habe, über die rückliegenden Ereignisse von 1290 bis 1690
zutreffend zu prophezeien, und in eine kleinere Hälf-
te von 1690 an, in der denn auch den vorgeblichen
Mönch Hermann seine Prophetengabe durchaus im
Stich gelassen habe. Hätten die Angreifer hierin un-
bedingt recht, so wäre der Streit dadurch gewisser-
maßen entschieden. Indessen existiert meiner Mei-
nung nach eine solche Scheidelinie nicht . Es zieht sich vielmehr umgekehrt ein vieldeutig-orakelhafter Ton durch das Ganze hindurch , eine Sprache, die überall der mannigfachsten Auslegungen fähig ist und in der zweiten Hälfte, in rätselvoll anklingenden
Worten, ebenso das Richtige trifft wie in der ersten
Hälfte. Es ist kein essentielles Unterschied zwischen
Anfang und Ende: beide Teile treffen's, und beide
Teile treffen es nicht; beide Teile ergehen sich in
Irrtümern und Dunkelheiten, und beide Teile blenden
durch Lichtblitze, die, hier wie dort, gelegentlich ei-
nen völlig visionären Charakter haben.
1694
Beschäftigen wir uns, unter Heranziehung einiger
Beispiele, zuerst mit der ersten Hälfte. Wir bemerken hier eine Verquickung jener drei Hauptelemente, die
nirgends in dieser sogenannten Weissagung fehlen:
Falsches, Dunkles, Zutreffendes. Frappant zutreffend
vom katholischen Standpunkt aus sind die acht Zei-
len in der Mitte des Gedichts, die sich auf Joachim I.
und II. beziehen. Sie lauten:
Seine (Johann Ciceros) Söhne werden beglückt durch
gleichmäßiges Los;
Allein, dann wird ein Weib dem Vaterlande trauriges
Verderben bringen,
Ein Weib, angesteckt vom Gift einer neuen Schlange,
Dieses Gift wird auch währen
Weitere Kostenlose Bücher