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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Ru-
    dolfs von Habsburg, der als Akoluth des Klosters ver-
    starb, behauptet – auch in künstlerischer Beziehung

    1686
    ein interessantes Überbleibsel aus geschwundener
    Zeit – seinen Ehrenplatz an alter Stelle. Sein Grab-
    stein liegt mitten im hohen Chor. Die Erinnerungszei-
    chen an Abt Sibold sind zerstört; seine Begräbnis-
    kammer, die noch im vorigen Jahrhundert existierte,
    ist niedergerissen, und statt des Grabsteins des Er-
    mordeten, der fünf Jahrhunderte lang seinen Namen
    und die Daten seines Lebens bewahrt hatte, erzählen
    nur noch die beiden alten Bilder im Querschiff die
    Geschichte seines Todes. Diese Bilder, wichtig wie
    sie sind, sind alles andre eher als ein Schmuck. Zu
    dem Grauen über die Tat gesellt sich ein Unbehagen
    über die Häßlichkeit der Darstellung, die diese Tat
    gefunden. Das ursprünglich bessere Bild ist kaum
    noch erkennbar.
    Es ist ein trister Aufenthalt, diese Klosterkirche von
    Lehnin, aber ein Bild anheimelnder Schönheit tut sich
    vor uns auf, sobald wir aus der öden, freudlosen Kir-
    che mit ihren hohen, weißgetünchten Pfeilern ins
    Freie treten und nun die Szenerie der unmittelbaren
    Umgebung: Altes und Neues, Kunst und Natur, auf
    uns wirken lassen. Innen hatten wir die nackte, nur
    kümmerlich bei Leben erhaltene Existenz, die trister
    ist als Tod und Zerstörung, draußen haben wir die
    ganze Poesie des Verfalls, den alten Zauber, der ü-
    berall da waltet wo die ewig junge Natur das zerbrö-
    ckelte Menschenwerk liebevoll in ihren Arm nimmt.
    Hohe Park- und Gartenbäume, Kastanien, Pappeln,
    Linden, haben den ganzen Bau wie in eine grüne
    Riesenlaube eingesponnen, und was die Bäume am
    Ganzen tun, das tun hundert Sträucher an hundert
    einzelnen Teilen. Himbeerbüsche, von Efeuranken

    1687
    wunderbar durchflochten, sitzen wie ein grotesker
    Kopfputz auf Säulen und Pfeilerresten, Weinspaliere
    ziehn sich an der Südseite des Hauptschiffs entlang,
    und überall in die zerbröckelten Fundamente nestelt
    sich jenes bunte, rankenziehende Gestrüpp ein, das
    die Mitte hält zwischen Unkraut und Blumen. So ist
    es hier sommerlang. Dann kommt der Herbst, der
    Spätherbst, und das Bild wird farbenreicher denn
    zuvor. Auf den hohen Pfeilertrümmern wachsen E-
    bereschen und Berberitzensträucher, jeder Zweig
    steht in Frucht, und die Schuljugend jagt und klettert
    umher und lacht mit roten Gesichtern aus den roten
    Beeren heraus. Aber wenn die Sonne unter ist, ge-
    ben sie das Spiel in den Trümmern auf, und wer
    dann das Ohr an die Erde legt, der hört tief unten die
    Mönche singen. Dabei wird es kalt und kälter; das
    Abendrot streift die Kirchenfenster, und mitunter ist
    es, als stünde eine weiße Gestalt inmitten der roten
    Scheiben. Das ist das Weiße Fräulein, das umgeht,
    treppauf, treppab, und den Mönch sucht, den sie
    liebte. Um Mitternacht tritt sie aus der Mauerwand,
    rasch, als habe sie ihn gesehn, und breitet die Arme
    nach ihm aus. Aber umsonst. Und dann setzt sie sich
    in den Pfeilerschatten und weint.
    Und unter den Altangesessenen, deren Vorfahren
    noch unter dem Kloster gelebt, ist keiner, der das
    Weiße Fräulein nicht gesehn hätte. Nur die refor-
    mierten Schweizer und alle die, die nach ihnen ka-
    men, sehen nichts und starren ins Leere. Die Alt-
    Lehninschen aber sind stolz auf diese ihre Gabe des
    Gesichts, und sie haben ein Sprüchwort, das diesem
    Stolz einen Ausdruck gibt. Wenn sie einen Fremden

    1688
    bezeichnen wollen oder einen später Zugezogenen,
    der nichts gemein hat mit Alt -Lehnin, so sagen sie nicht: »Er ist ein Fremder oder ein Neuer«, sie sagen
    nur: »Er kann das Weiße Fräulein nicht sehn.«

    Die Lehninsche Weissagung
    Jetzo will ich, Lehnin, dir sorgsam singen die Zukunft, Die mir gewiesen der Herr, der einstens alles geschaffen.
    » Vaticinium Lehninense«

    Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, während der
    Regierungsjahre Friedrich Wilhelms I., erschienen an
    verschiedenen Druckorten, teils selbständig, teils
    umfangreicheren Arbeiten einverleibt, 100 gereimte
    lateinische Hexameter, sogenannte Leoninische Ver-
    se, die in dunklem Prophetenton über die Schicksale
    der Mark und ihrer Fürsten sprachen und die Über-
    schrift führten: »Weissagung des seligen Bruders
    Hermann, weiland Lehniner Mönches, der ums
    Jahr 1300 lebte und blühte«.
    Diese Verse, die sich gleich selbst, in ihren ersten
    Zeilen, als eine Weissagung ankündigen: »Jetzt
    weissage ich dir, Lehnin, dein künftiges Schicksal«,
    machten

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