Wanderungen durch die Mark Brandenburg
anderen falschen
Prophezeiungen, deren Authentizität von niemand bezweifelt worden ist.«
Friedrich Wilhelm III. war bereits der elfte Hohenzol-
ler nach Joachim I.; der Zeiger an der Uhr ist über
die verhängnisvolle Stunde ruhig hinweggegangen,
die Hohenzollern leben, und nur die Weissagung,
echt oder nicht, ist tot.
1. Aus der Epoche von vor 1690 sind auch (aus
einem andern Grunde noch als aus dem eben
bei George Wilhelm angeführten) die vier Zei-
len merkwürdig, die sich auf Kurfürst Fried-
rich I., den ersten Hohenzoller, beziehn. Sie
lauten:
1702
Wahrheit sprech ich: Dein Stamm,
der zu langem Alter bestimmt ist,
Wird einst mit schwacher Gewalt
die heimischen Gauen beherrschen,
Bis zu Boden gestreckt, die einst in Ehre gewandelt,
Städte verwüstet und frech
beschränkt die Herrschaft der Fürsten.
2. In diesen vier Zeilen, wenn wir eine Post-fact-
Prophezeiung annehmen wollen (was wir,
schon hier sei es gesagt, wirklich tun), er-
schwert sich der Dichter seine Aufgabe frei-
willig , und anstatt im Prophetenton Dinge ü-
ber die Regierungszeit Friedrichs I. zu sagen,
die er 1690 allerdings wissen konnte, ohne
ein Prophet zu sein, verschmäht er diese be-
queme Aushülfe völlig und knüpft vielmehr
Betrachtungen an die Erscheinung des ersten
Hohenzollern, die, selbst von 1690 ab ge-
rechnet, noch in der Zukunft lagen. Er machte
sich's also nicht leicht, hatte vielmehr immer
das Ganze im Auge und prophezeite auch da
noch wirklich und aus eigenstem Antrieb
(man könnte sagen: »seine Mittel erlaubten
es ihm«), wo das Prophezeien post fact einem
Stümper in der Prophetie das bequemere und
sichrere Auskunftsmittel gewesen sein würde.
3. Die Prophezeiung geht von König Friedrich I.
gleich auf Friedrich II. über und überspringt
also Friedrich Wilhelm I. Man hat daraus ei-
1703
nen Beweis für die Unechtheit herleiten wol-
len, aber ganz mit Unrecht . Der Prophet (so
nehmen wir zunächst an) blickte in die Zu-
kunft, er sah wechselnde Gestalten, und den
Soldatenkönig sah er nicht . Das geistige Auge
– dies müssen wir festhalten – kann Gegens-
tände ebensogut übersehen wie das leibliche.
Ja, es läßt sich aus dem Fehlen König Fried-
rich Wilhelms I. viel eher, wenigstens mittel-
bar, ein Beweis für den wirklich prophetischen
Gehalt der Weissagung herleiten. Versucht
man nämlich, wie einige getan haben, das,
was sich auf Friedrich den Großen bezieht, auf
Friedrich Wilhelm I. zu deuten, so entsteht ein
völliger Nonsens, und werden dadurch alle
diejenigen schlagend widerlegt, die beweisen
möchten, daß diese Sätze überhaupt dunkle
Allgemeinheiten seien, die schließlich, bei ei-
niger Interpretationskunst, auf jeden paßten.
Man kann aber leicht die Probe machen, daß
dies durchaus nicht zutrifft und daß bestimm-
te Verse auch nur auf bestimmte Personen
passen.
1704
Kloster Chorin
Den Leib des Fürsten hüllt der Rauch
Von Ampeln und von Weihrauchschwelen,
Und ringsum steigt ein Trauerchor,
Und ein Tedeum steigt empor
Aus hundert und aus tausend Kehlen.
Unter den Töchtern Lehnins war Chorin die bedeu-
tendste, ja, eine Zeitlang schien es, als ob das Toch-
terkloster den Vorrang über die Mater gewinnen
würde. Das war unter den letzten Askaniern. Diese
machten Chorin zum Gegenstand ihrer besonderen
Gunst und Gnade und beschenkten es nicht nur
reich, sondern wählten es auch zu ihrer Begräbnis-
stätte. Unter den sechs Markgrafen, die hier beige-
setzt wurden, ist der letzte zugleich der hervorra-
gendste: Markgraf Waldemar, gestorben 1319. Nach
dem Erlöschen der Askanier trat Chorin wieder hinter
Lehnin zurück.
Chorin erreicht man am bequemsten von der be-
nachbarten Eisenbahnstation Chorinchen aus, die
ziemlich halben Weges zwischen Neustadt-
Eberswalde und Angermünde gelegen ist. Ein kurzer
Spaziergang führt von der Station aus zum Kloster.
Empfehlenswerter aber ist es, in Neustadt bereits die
Eisenbahn zu verlassen und in einem offenen Wagen,
an Kapellen, Seen und Laubholz vorbei, über ein
leicht gewelltes Terrain hin, den Rest des Weges zu
1705
machen. Dies Wellenterrain wird auch Ursache, daß
Chorin, wenn es endlich vor unseren Blicken auf-
taucht, völlig wie eine Überraschung wirkt. Erst in
dem Augenblicke, wo wir den letzten Höhenzug pas-
siert haben, steigt der prächtige Bau, den die Hügel-
wand bis dahin deckte, aus der Erde auf und steht
nun so frei, so bis zur
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