Wanderungen durch die Mark Brandenburg
großes Aufsehen, da in denselben mit be-
merkenswertem Geschick und jedenfalls mit unge-
1689
wöhnlicher poetischer Begabung das Aussterben der
Hohenzollern in der elften Generation nach Joa-
chim I. und die gleichzeitige Rückkehr der Mark in
den Schoß der katholischen Kirche prophezeit wurde.
Eine solche Prophezeiung war durchaus dazu ange-
tan, Aufsehn zu erregen, da es auch damals (1721)
in Deutschland nicht an Parteien fehlte, die freudig
aufhorchten, wenn der Untergang der Hohenzollern
in nähere oder fernere Aussicht gestellt wurde. In
Berlin selbst, wie sich annehmen läßt, war das Inte-
resse nicht geringer, und man begann nachzufor-
schen, nach welchem Manuskript die Veröffentli-
chung dieser Weissagung erfolgt sein könne. Diese
Nachforschungen führten zuletzt auf eine mehr oder
weniger alte Handschrift, die etwa um 1693 in der
nachgelassenen Bibliothek des in dem genannten
Jahre verstorbenen Kammergerichtsrat Seidel aufge-
funden worden war.
Diese älteste Handschrift, die übrigens nie die Prä-
tension erhob, das rätselvolle Original aus dem Jahre 1300 sein zu wollen, existierte bis 1796 im
Staatsarchiv. In ebendiesem Jahre wurde sie durch
Friedrich Wilhelm II. nach Charlottenburg gefordert
und von dort nicht wieder remittiert . Man muß annehmen, daß sie verlorengegangen ist. Die vier äl-
testen Abschriften, die jetzt noch in der Königlichen Bibliothek vorhanden sind, gehören, ihrer Schrift
nach, dem Anfange des vorigen Jahrhunderts an.
Jedenfalls also fehlt nicht nur das wirkliche Original , sondern auch alles, was sich, wohl oder übel, als
Original ausgeben könnte! Hiermit fällt selbstver-
ständlich die Möglichkeit fort, aus allerlei äußerlichen 1690
Anzeichen, wie Handschrift, Initialen, Pergament
etc., irgend etwas für die Echtheit oder Unechtheit
beweisen zu wollen, und wir haben die Beweise pro
und contra eben woanders zu suchen. Solche Unter-
suchungen sind denn nun auch, gleich vom ersten
Erscheinen der »Weissagung« an, vielfach angestellt
worden und haben im Lauf von anderthalbhundert
Jahren zu einer ganzen Literatur geführt. Katholi-
scher- und seit einem Vierteljahrhundert auch de-
mokratischerseits hat man ebenso beharrlich die
Echtheit der Weissagung wie protestantisch-
preußischerseits die Unechtheit zu beweisen getrach-
tet. Nur wenige Ausnahmen von dieser Regel kom-
men vor. Die demokratischen Paraphrasen und Deu-
tungen, die an die Weissagung anknüpfen, sind
sämtlich tendenziöser Natur, bloße Pamphlete und haben keinen Anspruch, hier ernstlicher in Erwägung
gezogen zu werden; sie rühren aus den Jahren 1848
und 1849 her und sind eigentlich nichts andres als
damals gern geglaubte Versicherungen, der Stern
der Hohenzollern sei im Erlöschen. Was die katholi-
schen Arbeiten angeht, die alle für die Echtheit ein-
treten, so sind sicherlich viele derselben bona fide
geschrieben, dennoch haben sie samt und sonders
wenig Wert für die Entscheidung der Frage, da sie,
ohne mit der Grundempfindung, aus der sie hervor-
gingen, rechten zu wollen, doch schließlich aller ei-
gentlichen Kritik entbehren.
Unter den protestantischen Gelehrten, die sich mit
dieser Frage beschäftigt haben, begegnen wir sehr
bewährten, zum Teil sogar hervorragenden Namen:
Oberbibliothekar Wilcken, Dr. C. L. Gieseler, Profes-
1691
sor Giesebrecht, Schulrat Otto Schulz, vor allem Pro-
fessor Guhrauer in Breslau, meist Historiker, die mit
einem großen Aufwand von Studium, Gelehrsamkeit
und Scharfsinn die Unechtheit darzutun getrachtet
haben. Sie haben indessen, meinem Ermessen nach,
den Fehler gemacht, daß sie zu viel und manches an
der unrechten Stelle haben beweisen wollen. Anstatt
einen entscheidenden Schlag zu tun, haben sie viele Schläge getan, und wie es immer in solchen Fällen
geht, sind die Schläge nicht nur vielfach nebenbei,
sondern gelegentlich auch zurückgefallen. Man scha-
det einem einzigen, aber ganzen Beweise jedesmal dadurch, daß man zur Anfügung vieler Halbbeweise
schreitet, namentlich dann aber, wenn man bei der
Anwendung unkünstlerisch verfährt und, statt aus
dem Halben zum Ganzen fort zuschreiten, aus dem Ganzen zum Halben hin die Dinge zurück entwickelt.
Ich sagte schon, die Angreifer hätten vielfach an un-
rechter Stelle angegriffen; ich muß hinzusetzen,
nicht bloß an unrechter Stelle, sondern gelegentlich
just an dem allerstärksten Punkte der feindlichen
Position. Dieser
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