Wanderungen durch die Mark Brandenburg
im Brieselang. Das will gemacht sein.«
»Gewiß. Aber ich habe mir sagen lassen, daß die
Dinge doch Hand in Hand gehen und daß die ›Käfe-
rei‹, wie Sie sagen, ohne ›Kräuterei‹ gar nicht recht
bestehen kann. Beispielsweise wenn Sie eine Weiß-
dornhecke sehen, so wissen Sie auch schon, was in
dieser Hecke vorkommen kann, ebenso gewiß wir
wissen, wo die Kretins und die Kröpfe zu suchen
sind. Ursach und Wirkung, Theorie von der Ernäh-
rung. Bergwasser.«
1749
»Ich danke Ihnen für Ihre Vergleiche. Aber Sie ha-
ben recht. Das Land und die Leute, die Kräuter und
die Insekten stehen in allernächster Beziehung zu-
einander, und obwohl ich für strenge Scheidung bin
und die Mengerei in der Wissenschaft nicht leiden
kann, so kann man doch nicht käfern in absoluter
Ignorierung der grünen Trommel. Rundheraus, ich
kenne dies und das. Aber das ist nicht Wissen-
schaft.«
»Ich höre, daß der Brieselang eine eigene Flora ha-
ben soll, daß hier Dinge vorkommen, die sonst in der
ganzen Mark nicht mehr zu finden sind. Hat das sei-
ne Richtigkeit?«
»Gewiß. Der Brieselang hat seine eigenen Pflanzen
und seine eigenen Insekten, er ist unser Gelobtes
Land, und selbst die Rudower Wiese, in ›all dem
Ruhm ihrer Orchideen‹, muß sich gegen den Briese-
lang verstecken.«
»Was kommt denn wohl so vor? Ich meine zunächst
von Pflanzen.«
»Da haben wir zunächst das Wanzenknabenkraut. Da
haben wir ferner Neottia nidus avis, das Vogelnest.
Noch seltener ist Coptolanthera rubra, der rote
Rundbeutel. Die Krone von allem aber ist vielleicht
Dieranum montanum, der gebirgliebende Gabelzahn.
Wie der speziell in den Brieselang kommt, wo die
Maulwurfshügel für alles, was Berglinie heißt, auf-
kommen müssen, ist mir unerfindlich.«
1750
»Und nun die Käfer.«
»Nun, wissen Sie, da gibt's kein Ende. Aber ich will
es gnädig machen. Da ist der Widderkäfer, der Bast-
käfer, der Feuerkäfer; dies sind die leichten Truppen.
Dann kommt die Garde: der Schwarzkäfer, der Pan-
zerkäfer. Aber das eigentlich schwere Geschütz, das
den Ausschlag gibt, das ist doch Procrustes coriaceus
und Saperda Seydlii. Besonders Saperda. Sie lä-
cheln; aber glauben Sie mir, wie unsereinem zumute
wird, wenn man bloß das Wort Saperda aussprechen
hört, davon können Sie sich keine Vorstellung ma-
chen. Ich hatte einen legitimistisch-historischen
Freund, dessen Gesicht sich immer verklärte, wenn
er ›Montmorency‹ sagte; sehen Sie, so geht es mir
mit Saperda. Und sagen Sie selbst, klingt es nicht
schön, apart, dies Doppel-a und das r in der Mitte!
Oh, wir haben auch ein Herz.«
»Ist denn nun Saperda im ganzen Brieselang ver-
breitet?«
»Verbreitet? Ich weiß nicht, was Sie verbreitet nen-
nen. Wenn eine Sache verbreitet ist, nun, so ist es
mit ihr vorbei, so ist sie entzaubert. Es gibt keine
verbreitete Schönheit. Schönheit ist immer rar. Sa-
perda findet sich auf einem einzigen Baum, an der
Segefelder Straße.«
»Davon hab ich gehört.«
»Nicht mehr wie billig. Manche Messerklinge ist da
zerbrochen worden. Der Baum sieht aus wie ein
1751
Scheibenpfahl, den hundert Kugeln gestreift, durch-
bohrt, zersplittert haben. Es gibt keinen unter uns,
der den Baum nicht kennte. Bei Segefeld liegt der
Sand wie eine Sahara. Aber wir durchwaten ihn mit
Freudigkeit – der Weg zu den großen Pilgerstätten
hat noch immer durch die Wüste geführt.«
2. Försterei Brieselang
Lesen konnt ich in seinen festen Zügen
Seinen lang und treu bewahrten Entschluß:
Auch mit keinem Fingerdrucke zu lügen;
Sicher und wohl ward mir bei seinem Gruß.
Nik. Lenau
Unter solchem Geplauder hatten wir eine Stelle er-
reicht, wo der Weg, die bis dahin innegehaltene
Scheidelinie zwischen Wald und Wiese aufgebend,
nach links hin scharf einbiegt. Hier schlug sich Lam-
pe in die Tiefen des Waldes, während wir, den Weg
weiter verfolgend, alsbald auf eine große Lichtung
mit Gärten, Häusern und Stallgebäuden hinaustre-
ten. Wir hatten den Zentralpunkt dieser Waldregio-
1752
nen erreicht: Försterei Brieselang . Daneben das
»Remontedepot« gleiches Namens. Die Lichtung, die
diese beiden Häuserkomplexe einschließt, hat den
Charakter einer großen Waldwiese. Ein Wasserlauf,
»der Neue Graben«, der in früheren Jahren das
Sumpfland entwässert hat und nun zum Holzflößen
dient zieht sich quer durch die ganze Breite; eine
Brücke führt darüberhin. Jenseits des
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