Wanderungen durch die Mark Brandenburg
ein majestä-
tischer Baum, acht Fuß Durchmesser, achtzig bis
hundert Fuß hoch; man braucht zwanzig Schritt, ihn
1759
zu umschreiten. Sein Holzinhalt wird auf fünfund-
zwanzig Klafter und sein Alter auf tausend Jahre be-
rechnet. Bis vor kurzem lebte er noch; seit etwa drei
Jahren indes ist er völlig tot, nirgends ein grünes
Blatt, die Rinde halb abgefallen. Aber noch im Tode
ist er gesund. Alles Kernholz. Die Forstleute sagen:
er steht noch hundert Jahr. Dem wird jeder zustim-
men, der die »Königseiche« sieht. Auf einen Laien
macht sie den Eindruck, als halte sie nur einen lan-
gen Winterschlaf, als brauche sie dazu mehr Zeit als
junge Bäume und müsse deshalb ein paar Sommer
überschlagen, aber als sei ihr Erwachen unter allen
Umständen gewiß und als würd es binnen kurzem im
ganzen Brieselang heißen: sie lebt wieder.
Eine Welt von Getier bewohnt die alte Eiche. Der
Bockkäfer in wahren Riesenexemplaren hat sich zu
Hunderten darin eingenistet; am ersten großen Ast
schwärmen Waldbienen um ihren Stock, und im kah-
len Geäst, höher hinauf, haben zahllose Spechte ihre
Nestlöcher.
In den Tagen sich regenden deutschen Geistes, in
den Tagen Jahns und der Turnerei, wurde die Eiche
Wanderziel und Symbol. Dies war ihre historische
Zeit. Damals vereinigte man sich hier, gelobte sich
Treue und Ausharren und befestigte in Mittelhöhe
des Stammes die Inschrifttafel, die bis diese Stunde
dem Baum erhalten worden ist. Die Inschrift selbst
aber, die um des Kaisergedankens willen, den sie ausspricht, in diesem Augenblicke wieder ein besonderes Interesse gewährt, ist die folgende:
1760
Sinnbild alter deutscher Treue,
Das des Reiches Glanz gesehn,
Eiche , hehre, stolze, freie,
Sieh, dein Volk wird auferstehn.
Brüder, alle, die da wallen,
Her zu diesem heil'gen Baum,
Laßt ein deutsches Lied erschallen
Auf dem altgeweihten Raum:
Wie in Sturmeswehn die Eiche,
Stehet fest bei Treu und Recht,
Einend schirme alle Zweige
Einer Krone Laubgeflecht.1)
Außer diesen Turnerfahrten scheint die Eiche, vorher
und nachher, nicht allzuviel gesehen und erlebt zu
haben. Sie lebte wie so mancher Alte, still und abge-
schieden. Ein beständiges Gleichmaß in beständigem
Wechsel. Auf Sommerdürre folgten die Stürme, dann
fiel Schnee, dann war alles Sumpf und Bruch, dann
wieder Sommerdürre – so kamen die Jahre, so gingen sie. Nichts geschah. Es gibt Holunderbäume in
Pfarrgärten, die in fünfzig Jahren mehr gesehen ha-
ben als die große Eiche in fünfhundert. Nur die letz-
ten Jahrzehnte schufen einen Wandel: Landpartien
und Berliner kamen.
Es handelte sich jetzt für uns darum, ihr ein beson-
deres Zeichen unserer Huldigung zu geben. Ein
dreimaliges Hurra erschien uns für unsere zivilen
Verhältnisse teils zu prätentiös, teils unausreichend.
Aus dieser Verlegenheit indes sollten wir alsbald ge-
1761
rissen werden – unser Reisegefährte hatte alles be-
reits sinnig erwogen. Er nahm seine umsponnene
Flasche, füllte ein Glas mit rotgoldenem Kap-
Constantia-Wein, trat vor und sprach: »Eiche, tau-
sendjährige, sei uns gegrüßt! Hier hat der Wende
gelagert und der Berliner, und allerlei Wein, fränki-
scher und deutscher, nicht minder die ›gebrannten
Wässer‹ beider Indien, Jamaikas und Goas sind dir
zu Ehren an dieser Stelle verschüttet worden. Aber
ob Südafrika, ob Mohrenland von jenseit der Linie dir
je gehuldigt, das ist mindestens fraglich. Empfange
denn die Gabe aus Gegenden, in denen nur Freilig-
rath und der Kaffer ›einsam schweift durch die Kar-
roo‹, empfange diesen Tropfen Kap Constantia – die
Hänge des Tafelberges grüßen dich und den Briese-
lang!« Damit goß er den Kapwein ihr zu Füßen. Wir
schwenkten die Hüte, stimmten Lieder an von Arndt
und Körner und machten uns auf den Rückweg.
Im Fluge. Denn immer bedrohlicher zog sich's über
uns zusammen, und kein Wind machte sich mehr
auf, das Gewölk zu zerstreuen. So ging es an den
alten Stätten vorbei, am Forsthaus, am Remontede-
pot, an dem Elsbusch, aus dem uns Lampe, der »Jä-
ger«, so bedrohlich entgegengetreten war. Als wir
Finkenkrug erreichten, war es die höchste Zeit, wenn
uns daran lag, mit den Extrazüglern, die eben in
Sektionen formiert aufbrachen, den Rettungshafen
der Eisenbahn zu gewinnen. Musik vorauf, so ging es
durch die letzte Waldstrecke. Die Pauke tat wieder
ihr Äußerstes, als plötzlich einer rief: »Pauke still!«
Und sie
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