Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Wasserlaufes
aber steigt der Wald (»die Butenheide«) aufs neue
an und schließt gegen Norden hin das Bild. Am jen-
seitigen Rande des Waldes: die Königseiche und Dorf
Pausin.
Ein Hirschgeweih über der Tür ließ uns nicht lange in
Zweifel, wo wir die Försterei, für die wir einen Gruß
mitbrachten, zu suchen hätten. Wir traten ein. Es
war um die dritte Stunde. Der Förster, ein Mann von
nah an siebzig, fuhr aus seinem Nachmittagsschlaf
auf, strich sich die momentane Runzel von der Stirn
und stand grüßend vor uns. Wer in solchen Momenten Haltung bewahrt, ist allemal eine liebenswürdige
Natur.
Wenn dies je zutraf, so hier. Wir setzten uns zu-
nächst in eine Geißblattlaube, die den Eingang um-
rankte, als aber die Nachmittagsschwüle zu drücken
begann, rückten wir – ein paar Forsteleven hatten
sich uns zugesellt – weiter vor und stellten die Bänke
ins Freie. Und nun die ganze Waldwiese samt Gra-
ben, Brücke und Remontedepot (das zur Hälfte eine
Brandstelle war) vor uns, begann das Geplauder.
1753
Der alte Förster verstand es. »Ich darf wohl sagen«,
so hob er an, »der liebe Gott hat es gut mit mir ge-
meint. Mein Großvater war Förster, mein Vater war
Förster, ich bin Förster und meine drei Jungens sind
auch Förster, oder sollen's werden. Wir haben alle
Waldblut in den Adern, Brieselang-Blut. Ein Jahr bin
ich einmal in einer Kiefernheide gewesen, aber mir
wurde erst wieder wohl, als ich wieder Elsen und
Eichen um mich her hatte.«
»Ist der Brieselang Ihre Heimat?«
»Nicht so ganz, aber doch beinah. Wir sind auf dem
Glien zu Hause. Mein Vater war in Diensten beim
alten Blücher, der dazumal Groß Ziethen hatte. Ich
habe oft auf des alten Feldmarschalls Knie geritten.
›Willst du auch ein Förster werden?‹ – ›Das will ich.‹
– ›Na, denn werd ein so braver Kerl wie dein Vater.‹
Das hab ich nicht vergessen. Es war doch ein gnädi-
ger alter Herr. Als es Anno 15 wieder losging, sagte
er zu meinem Vater: ›Grothe, denk dir, der Deu-
belskerl ist wieder da; wir müssen ihm noch mal eins
geben; aber diesmal ordentlich, daß er genug hat un
nich wiederkommt.‹ Und dabei sah er ganz ernsthaft
aus, gar nicht so schabernackisch wie sonst wohl; es
mocht ihm wohl schwanen, daß er am Ende selber
nicht wiederkommen könne. Und hören Sie, es war
auch dichte dran, als er da bei Ligny unter seinem
Schimmel lag!«
Wir nickten alle. Vom Wald her aber schmetterte
Finken- und Drosselschlag immer frischer zu uns
1754
herüber, und mit dem Daumen rückwärts deutend,
sagte der alte Förster: »Ja, das klingt ins Herz.«
»Das tut's«, erwiderte jetzt mein Reisegefährte (den
es nachgerade wohl Zeit ist aus seiner stummen Rol-
le zu erlösen, in der er bisher eigensinnig beharrte),
»aber wollen Sie glauben, Herr Förster, daß es Ge-
genden gibt, wo die Vögel denn doch noch anders
singen, so melodisch, so tief erschütternd, daß man
aufhorcht, als habe man den Klang einer Menschen-
stimme, die ersten Töne einer wehmütigen Volkswei-
se gehört.«
»Der Tausend auch«, sagte der Förster, »Sie machen
mich neugierig.«
»Und diese Vögel, von denen ich spreche, die singen
da , wo wir's am wenigsten glauben möchten, in
Australien bei den Antipoden. Ein Engländer ist dort
gereist, hat die Waldstimmen belauscht, hat die Töne
in Noten festgehalten und zuletzt eine Art Melodien-
buch herausgegeben, aus dem wir nun genau erfah-
ren können, wie die australischen Vögel singen.«
»Ist es möglich!«
»Es ist sogar gewiß. Ich habe das Buch. Und unter
all diesen Stimmen ist eine, die es mir besonders
angetan hat, das ist die Stimme des Leather-head.
Leather-head heißt Lederkopf, ein Name, den dieser
Vogel führt, weil er einen völlig kahlen Kopf hat. Ich
will Ihnen die Melodie pfeifen; sie geht leise; Sie
müssen scharf aufhorchen.«
1755
Unser Reisegefährte pfiff nun in langgezogenen Tö-
nen die Klagemelodie des Leather-head. Selbst im
Walde war es still geworden. Es war, als ob die Vögel
drinnen mit zu Rate säßen.
»Das ist schön«, sagte der Förster, »aber Ihr Eng-
länder kann sich die Melodie erfunden haben.«
»Ich gestehe«, fuhr unser Reisegefährte fort, »daß
ich dann und wann denselben Verdacht hatte. Aber
denken Sie, wo mir plötzlich die Gewißheit kam! Sie
haben vom Aquarium gehört. Nun, in dem Aquarium
befindet sich auch eine Vogelhecke, die mir das
Liebste vom Ganzen ist. Jeder
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