Wanderungen durch die Mark Brandenburg
mit ver-
hältnismäßiger Leichtigkeit beseitigt. Unter diesen
kleinen Bedenken war das erste, das laut wurde, die
1878
Kostümfrage. Nichts war zur Hand, nichts zu be-
schaffen. Ihre eigne Gesellschaftsrobe half indessen
über diese Verlegenheit am ehsten hinweg. Sie trug
ein schwarzes Spitzenkleid. Dies wurde ohne Mühe
zu einem spanischen Kostüm hergerichtet. Ein Teil
der kostbaren Alençons, zu einem aufrecht stehen-
den Kopfputze arrangiert, barg eine blutrote Rose;
ein schwarzer Schleier, ein irischer Kragen vollende-
ten die Toilette. So traf man, nach kurzem Aufent-
halte in der Stadt, auf der Pfaueninsel ein.
Die Sonne war eben im Untergehn. Noch einmal ein
flüchtiges Stutzen, als auf die Frage: »Où jouerai-
je?« stumm auf den Rasenfleck hingedeutet wurde,
der von rechts her bis dicht an das Schloß herantritt
– es war indessen die Möglichkeit eines »Nein«,
nachdem man bereits bis hierher gediehen war, so
gut wie abgeschnitten, und zwar um so mehr, als
eben jetzt der Hof, in seiner Mitte der Kaiser, er-
schien und, Kreis schließend, links auf dem Kieswege
und rechts auf dem Rasenplatze Aufstellung nahm.
Nach rechts hin, unter den Ministern und Generälen,
stand auch die Rachel.
Es war inzwischen dunkel geworden, so dunkel, daß
ihr Bruder ein in einer Glasglocke steckendes Licht
ergriff und an die Seite der Schwester trat; später-
hin, inmitten der Deklamation, reichte auch das nicht
aus, und die berühmte Tragödin nahm dem Bruder
das Windlicht aus der Hand, um sich selber die Be-
leuchtung zu geben. Ihr Mienenspiel war ihre Größe.
Sie hatte eine Stelle aus der »Athalie« gewählt, jene,
1879
fünfter Akt, fünfte Szene, wo sie dem Hohenpriester
das Kind abfordert:
Ce que tu m'as promis, songe à l'exécuter:
Cet enfant, ce trésor, qu'il faut qu'on me remette,
Où sont-ils?
Sie spielte groß, gewaltig; es war, als ob das Fehlen
alles Apparats die Wirkung steigere. Der Genius, un-
gehindert durch Flitter und Dekorationen, wirkte
ganz als er selbst. Dabei brachen die Schatten des
Abends immer mehr herein; die Luft war lau, und
aus der Ferne her klang das Plätschern der Fontai-
nen.
Alles war hingerissen. Zumeist der König. Kaum
minder sein Gast, der Kaiser. Er trat an die Tragödin
heran:
»J'espère de vous voir à Pétersbourg.«
»Mille remercîments; mais... Votre Majesté...«
»Je vous invite, moi .«
Die kaiserliche Einladung war ausgesprochen, das
Ziel erreicht, der große Preis des Abends gewonnen.
Eine Viertelstunde später, in lampiongeschmückten
Gondeln, kehrte der Hof, der auf eine kurze Stunde
die Pfaueninselstille belebt hatte, wieder in die jen-
1880
seit der breiten Havelfläche gelegenen Schlösser zu-
rück, nach Glienicke, nach Sanssouci, nach dem
Neuen Palais. An der Stelle aber, an der an jenem
Abend die Rachel gesprochen und einen ihrer größ-
ten Triumphe gefeiert hatte, erhebt sich jetzt, auf
schlankem Postament, eine Statuette der Künstlerin,
einfach die Inschrift tragend: »den 15. Juli 1852«.
4. Frau Friedrich
Herr Friedrich saß auf Sanssouci,
Den Krückstock, den vergaß er nie;
Frau Friedrich findet's à propos
Und sagt: »Ich mach es ebenso.«
Demoiselle Rachel ist hinüber, Frau Friedrich lebt
noch. Ihre goldene Hochzeit liegt hinter ihr, sie steht vor ihrer diamantnen. Funfzig Jahre Inselherrschaft
haben ihren Namen an den Namen dieses stillen Ei-
lands gekettet. Und welche Herrschaft! Das absolu-teste »Car tel est notre plaisir«, hier hat es seine
Stätte.
Aber wer ist Frau Friedrich? In Potsdam kennt sie
jeder; jeder hat ihr gehuldigt, jeder, wenn er auf der
Insel landete, hat ihr einen allerfreundlichsten Guten
1881
Tag geboten und nach ihren Mienen gesehn, um zu
wissen, ob gutes oder schlechtes Wetter sei. Das
Schicksal ganzer Landpartien hing an dem Zwinkern
dieser Augen; ein heitres Blinzeln bedeutete den
besten Kaffee, eine einzige Krähenpfote strich einen
Nachmittag aus dem Leben harmloser Mitmenschen
und warf sie der Enttäuschung, unter Umständen
dem Hunger in die Arme. Frau Friedrich war eine
Macht. Sie ist es noch. Aber noch einmal, wer ist
Frau Friedrich?
Sie ist die Frau des gleichnamigen Maschinenmeis-
ters . In einem früheren Abschnitt dieses Pfaueninsel-Kapitels haben wir erzählt, daß um 1822 ein Was-
serwerk angelegt wurde, das, zunächst ein großes Reservoir speisend, mit Hülfe dieses die Aufgabe
hatte, die sandigen Stellen der
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