Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Insel zu bewässern
und fruchtbar zu machen. Dieses Wasserwerk nun
bedurfte einer Maschine und die Maschine wiederum
eines Maschinenmeisters, wozu ein junger Straßbur-
ger Mechaniker, ein Düftelgenie, einer aus der gro-
ßen Familie der Perpetuum-mobile-Erfinder, auser-
sehen wurde. Er hieß Friedrich und bekleidete bis zu
seiner Ernennung zum Pfaueninsel-Maschinenmeister
das Amt eines Maschinisten und Versenkungskünst-
lers am Königstädtischen Theater. Wie er zu diesem
Amt gekommen, was ihn überhaupt an Spree und
Havel gekettet und seinem »o Straßburg« ungetreu
gemacht hatte, darüber sind nur noch Vermutungen
gestattet, die aber schwerlich weit vom Ziele treffen,
wenn sie die Lösung des Rätsels in einer quicken,
von Lenzen oder Havelberg nach Berlin verzogenen
Prignitzerin suchen, die schon damals die wenigstens
1882
partielle Eroberung des Elsaß anstrebte. Und, wie
sich von selbst versteht, mit Erfolg . Die märkischen Mädchen setzen durch, was sie wollen, und halten
fest, was sie haben. Zumal die Fremden erliegen
ihrer Zauberkunst. Los ist noch keiner gekommen.
Ein neues Kapitel für die Dämonologie.
Wenn es nun je einen Elsasser gab, der einer Prignit-
zerin von allem Anbeginn an rettungslos verfallen
war, so war es unser Freund Friedrich; in kürzester
Frist waren die bindenden Worte gesprochen, die
Ringe getauscht, und nachdem er noch eine kurze
Zeit lang am Königstädtischen Theater gedonnert
und geblitzt hatte, intervenierte plötzlich die mehr-
erwähnte Dampfmaschine und hob eines Tages nicht
nur 6 000 Tonnen Wasser in das Reservoir hinein,
sondern auch noch unsern Theatermaschinisten samt
Frau in das Maschinenmeisterhaus auf der Pfauenin-
sel. Da setzte sie beide nieder, und da sitzen sie
noch. Da sitzen sie in einem gelben Hause, am Hü-
gelabhang, unter Pfeifenkraut und Geißblattlauben,
da sitzen sie seit nahezu fünfzig Jahren, erst mit
Kindern, dann mit Enkeln, zuletzt mit Urenkeln ge-
segnet, und wiewohl als echte Inselbewohner unbe-
kümmert um die Vorgänge des Kontinents, haben sie
doch die Potentaten des Festlandes, die großen und
die kleinen, ihrerseits empfangen und in langer Reihe an ihrem Hause und ihrer Gartenbank vorüberziehen
sehn. Gute, glückliche Leute, loyal und frei. Da
liegt's. Auf einer ganz eminenten Freiheit, die sich
sonderbarerweise auf dem Beschränkungsparagra-
phen: »Wirts- und Kaffeehäuser sind unzulässig an
dieser Stelle«, aufbaute, gründete Frau Friedrich ihre
1883
Pfaueninsel-Herrschaft. Alles, was hier landete, wenn
es seinen Schloßgang hinter sich hatte, hatte das
dem norddeutschen Menschen tief innewohnende
Bedürfnis des Nachmittagskaffee, und da kein Platz
da war, wo dies Bedürfnis regelrecht, nach den alten
Traditionen von Angebot und Nachfrage befriedigt
werden konnte, so blieb den Durstigen nichts übrig,
als um Dinge zu bitten , die nun mal nach Lage der Sache nicht befohlen werden konnten. So wurde das
Maschinenmeisterhaus ein Kaffeehaus von Frau
Friedrichs Gnaden , und aus dieser eigentümlichen Machtstellung entwickelte sich schließlich jener Absolutismus, der wohl gelegentlich, wie alle unum-
schränkte Herrschergewalt, ein wenig bedrücklich
empfunden worden ist. Um keinen Louisquatorze ist
fünfzig Jahre lang so andauernd geworben worden
wie um diesen »L'État c'est moi«. Die weibliche Trä-
gerin dieses Satzes verkaufte nicht, sie spendete
nur. Ein kleinster Verstoß, ein zu sicheres Auftreten,
eine zu früh gezeigte Börse, eine Krawatte, deren
Farbe mißfiel, und – die Gnade konnte entzogen
werden. Man trank hier seinen Kaffee immer mit Au-
gen links, immer lächelnd, immer die Hand am Hut,
und vielleicht schmeckte er nur deshalb so vorzüg-
lich, weil er wirklich teuer erkauft und errungen war.
Dies alles traf nun aber bloß den Namenlosen, den
Unbekannten, der, führerlos an diese Küste ver-
schlagen, des Vorzugs entbehren mußte, der Frau
Friedrich vorgestellt oder irgendwie empfohlen zu
sein. Über alle diese Hasardeurs brach es gelegent-
lich herein. Die Kugel rollte, rot oder schwarz, und
wer wollte sagen, wohin sie fiel. Aber die Billigkeit
1884
erzwingt doch gleicherzeit das Anerkenntnis, daß das
Gesetz des Introduziertseins nicht mit Strenge ge-
handhabt wurde und daß im großen und ganzen je-
der ein Empfohlener war, der sich – nach den Traditionen des alten Preußens – durch Epaulette oder Orden beglaubigen konnte. Waren es
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