Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Gutheißung des Publi-
kums, sich mehr und mehr zu einem Tyrannen der
Gesellschaft aufgeschwungen hat. Du bist irgendwo
in ein Gespräch verwickelt, nehmen wir an, in das
unbedeutendste von der Welt, über Drainierung oder
Spargelzucht oder luftdichte Ofentüren; niemand
verliert etwas, der von diesem Gespräche nichts
hört, aber dir und deinem Nachbar gefällt es, euch beiden ist es lieb und wert, und ihr treibt behaglich
auf der Woge der Unterhaltung. In diesem Augenbli-
cke stillen, harmlosen Glücks gibt irgendein dicker
oder dünner primus inter pares mit seiner silbernen
Klapptrompete ein Zeichen und verurteilt dich ohne
weiteres zum Schweigen. Willst du nicht darauf ach-
ten, so wirst du gesellschaftlich in den Bann getan:
du mußt zuhören, du mußt die »Lustigen Weiber von Windsor« sich zum zehnten Male zanken oder gar die
Prinzessin Isabella zum hundertsten Male um »Gna-
de« rufen hören. Nichts hilft dagegen. Wie anders
diese echten und unechten Bergmannsvirtuosen! Sie
blasen drauflos, alle Kinder sind entzückt, du selber
folgst lachend den stolpernden Dissonanzen und hast
dabei das süße Gefühl bewahrter persönlicher Frei-
heit. Die allgemein anerkannte künstlerische Unvoll-
kommenheit wird zum rettenden Engel.
Baumgartenbrück ist noch ein Platz dieser Freiheit.
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Aber was dauernd hier fesselt, weit über das beste
Bier und die bescheidenste Musik hinaus, das sind
doch die Gaben der Natur, das ist – wir deuteten es
schon an – die seltene Schönheit des Platzes. Es ist
eine »Brühlsche Terrasse« am Schwielow-See. Basti-
onartig springt ein mit Linden und Kastanien dicht
bestandener Uferwall in den See hinein, und so viele
Bäume, so viele Umrahmungen eines von Baum zu
Baum wechselnden Panoramas. Welche Reihenfolge
entzückender Bilder! Man sitzt wie auf dem Balkon
eines Hauses, das an der Schmalseite eines langen
Squares gelegen ist, und während das Auge über die
weite Fläche des oblongen Platzes hingleitet, zieht
unmittelbar unter dem Balkon das Treiben einer be-
lebten Straße fort. Der Platz ist der Schwielow-See,
die belebte Straße ist die Havel, deren Fahrwasser
an dem Quai vorüber und durch die unmittelbar zur
Rechten gelegene Brücke führt.
Ist es hier schön zu allen Tageszeiten, so waltet hier
ein besonderer Zauber um die sechste Stunde; dann
schwimmen, kommend und gehend, aus dem
Schwielow hinaus und in den Schwielow hinein, aber
alle von der Abendsonne beschienen, die Havelkähne
in ganzen Geschwadern heran, und zwischen ihnen
hindurch gleitet von Werder her der obstbeladene
Dampfer. Die Zugbrücke steigt und fällt in beständi-
gem Wechsel, bis mit dem Niedergehen der Sonne
auch der Verkehr zu Ende geht.
Nun dunkelt es. In den Lindenlauben werden die
Lichter angezündet und spiegeln im See. Noch hallt
dann und wann ein Ruf herüber, oder ein Büchsen-
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schuß aus dem Fercher Forst her rollt im Echo über
den See – dann alles still. Die Lichter löschen aus,
wie die Glühpunkte in einem niedergebrannten Pa-
pier. Ein Huschen noch hierhin, dorthin; nun verblitzt
das letzte.
Nacht liegt über Baumgartenbrück und dem Schwie-
low.
Alt Geltow
I do not set my life at a pin's fee;
By heaven, I'll make a ghost of him that hinders me:
I say, away!
»Hamlet«
Etwa tausend Schritt hinter Baumgartenbrück, und
zwar landeinwärts, liegt Alt Geltow.
Wenn es auch bezweifelt werden mag, daß die »alte
Bomgarde«, die dem heutigen Baumgartenbrück den
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Namen gab, wenigstens soweit das Sprachliche in Betracht kommt, bis in die slawische Zeit hinauf zu
verfolgen ist, so haben wir dagegen in Alt Geltow ein
unbestritten wendisches Dorf. Die ältesten Urkunden
tun seiner bereits Erwähnung, und es nimmt seinen
Platz ein unter den sieben alten Wendendörfern der
Insel Potsdam: Bornim, Bornstedt, Eiche, Golm,
Grube, Nedlitz und Gelte. Diese letztere Schreibwei-
se, ursprünglich Geliti, ist die richtigere. Geltow in-
des ist der übliche Name geworden.
Die Geschichte des Dorfes geht weit zurück; aber die
schon erwähnten Urkunden, von denen die älteste
aus dem Jahre 933 stammt, sind dürftigen Inhalts
und lassen uns, von kleinen Streitigkeiten abgese-
hen, nur das eine erkennen, daß erst die Familie Hel-
lings von Gelt, dann die Gröbens, dann die Hakes
ihren Besitz hier hatten. 1660 gingen Dorf und Heide
an den Großen Kurfürsten über und gehörten seit-
dem zu den vielen
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