Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Tagen, und namentlich
seitdem ein Bomgarden- Brück daraus geworden,
immer ein Punkt von Bedeutung war, ein Punkt, des-
sen Wichtigkeit gleichen Schritt hielt mit dem indus-
triellen Aufblühen der Schwielow- und Havel-Ufer.
Die Einnahmen verzehnfachten sich, und wenn frü-
her hier ein einfacher, altmodischer Zoll gezahlt wor-
den war, um die Landreisenden trocken von einem
Ufer zum andern zu bringen, so kamen nun die viel
einträglicheren Tage, wo, neben dem Brückenzoll für
Pferd und Wagen, vor allem auch ein Brücken-
Aufzugzoll für alle durchpassierenden Schiffe gezahlt werden mußte. Der Kulturstaat etablierte hier eine
seiner Doppelpressen; zu Land oder zu Wasser –
gezahlt mußte werden, und Baumgartenbrück wurde
für Brückengeld-Einnehmer allmählich das, was die
Charlottenburger Chausseehäuser für Chausseegeld-
Einnehmer waren. Und so ist es noch.
Aber die lachenden Tage von Baumgartenbrück bra-
chen doch erst an, als, vor etwa vierzig Jahren, aus
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dem hier stehenden Brückenwärterhaus ein Gast-
haus wurde, ein Vergnügungsort für die Potsdamer schöne Welt, die mehr und mehr anfing, ihren Brauhausberg und ihren Pfingstberg den Berlinern abzu-
treten und sich eine stille Stelle für sich selber zu
suchen. Sie verfuhren dabei kurz und sinnig wie die
Schweizer, die ihre Allerwelts-Schönheitspunkte: den
Genfer und den Vierwaldstätter See, den Fremden
überlassen, um an irgendeiner abgelegenen Stelle
der Glarner Alpen »ihre Schweiz für sich« zu haben.
Die Potsdamer wählten zu diesem Behufe Baumgar-
tenbrück.
Und es war eine vorzügliche Wahl! Es vereinigt sich
hier alles, was einem Besuchsorte zu Zierde und
Empfehlung gereichen kann: Stille und Leben, Abge-
schlossenheit und Weitblick, ein landschaftliches Bild
ersten Ranges und eine vorzügliche Verpflegung.
Hier unter den Laubgängen zu sitzen, nach einem
tüchtigen Marsch oder einer Fahrt über den See, ist
ein Genuß, der alle Sinne gefangennimmt; nur muß
man freilich die Eigenart des Platzes kennen und bei-
spielsweise wissen, daß hier nur eines getrunken werden darf: eine Werdersche.
Mit der Werderschen, und wir treten damit in eine
bukolische Betrachtung ein, ist es nämlich ein eigen
Ding. Sie ist entweder zu jung oder zu alt, entweder
so phlegmatisch, daß sie sich nicht rührt, oder so
hitzig, daß sie an die Decke fährt; in Baumgar-
tenbrück aber steht sie im glücklichen Mittelpunkt
ihres Lebens; gereift und durchgeistigt, ist sie gleich weit entfernt von schaler Jugend wie von über-2198
schäumendem Alter. Die Werdersche hier hat einen
festen, drei Finger breiten Schaum; feinfarbig, leicht
gebräunt, liegt er auf der dunkeln und doch klaren
Flut. Der erste Brauer von Werder ist Stammgast in
Baumgartenbrück; er trinkt die Werdersche, die er
selber ins Leben rief, am besten an dieser Stelle. Er
ist wie ein Vater, der seinen früh aus dem Hause
gegebenen Sohn am Tisch eines Pädagogen wohler-
zogen wiederfindet.
Baumgartenbrück, trotz des Verkehrs, der an ihm
vorübergleitet, ist ganz ausgesprochen ein stiller,
lauschiger Platz; vor allem kein Platz prätentiöser
Konzerte. Kein Podium mit Spitzbogenfaçade und
japanischem Dach stellt sich hier, wie eine beständi-
ge Drohung, in die Mitte der Versammlung hinein,
und keine Riesenplakate erzählen dem arglos Einge-
tretenen, daß er gezwungen sei, zu Nutz und From-
men eines Abgebrannten oder Überschwemmten
zwei Stunden lang sich ruhig zu verhalten. Diese
Ungemütlichkeiten haben keine Stätte unter den
Bäumen von Baumgartenbrück.
Hier ist nur der böhmische Musikant zu Hause, der
des Weges zieht und mit dem Notenblatt sammelt.
Ehen treten wieder ihrer sieben ein, stellen sich
schüchtern seitwärts, und wohl wissend, wie gefähr-
lich jedes Zaudern für sie ist, beginnen sie sofort.
»Il Bacio« eröffnet den Reigen. Wohl ist es hart. Die
Posaune, mit beinah künstlerischem Festhalten eines
Tones, erinnert an das Nachtwächterhorn alter Tage;
die Trompete kreischt, der Triangel bimmelt erbärm-
lich. Wie immer auch, seid mir gegrüßt!
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Wenn ich dieser alten Gestalten mit den schadhaften
Bärten und den verbogenen Käppis ansichtig werde,
lacht mir immer das Herz. Nicht aus Sentimentalität,
nicht weil sie mich an Jugendtage erinnern, sondern
weil sie so bequem, so harmlos sind, während der
moderne Künstler, nach eigner Neigung und vor al-
lem auch durch die feierliche
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