Wanderungen durch die Mark Brandenburg
erzählte allerlei
hübsche Geschichten so unbefangen, als ob ich in
einem Kreise alter lieber Freunde mich befände.
Nach Tische begaben wir uns wieder an unsern
Wandschrank. Als der Kaffee kam, holte ich mir
selbst eine frisch gestopfte Pfeife – Friedrich mußte
immer an die dreißig wohlgereinigt und gestopft im
Gange erhalten. Meusebach ergötzte sich sehr, daß
ich schon so gut Bescheid wußte.
Wir begannen von neuem die Bücherschau. Es wurde
Licht angezündet, wir setzten uns. Jetzt kamen die
Liederbücher und die Fischartiana an die Reihe. Meine Freude steigerte sich. Der Tee wurde gebracht.
Frau von Meusebach kam mit ihren Kindern. Das
störte uns weiter nicht. Wir unterhielten uns und
besahen Bücher; Tee und Essen war Nebensache.
Die Kinder gingen wieder fort, Frau von Meusebach
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folgte bald nach, wir waren wieder allein. Eine frische Pfeife wurde angebrannt. Es war bereits spät. Ich
wollte nach Haus, mußte aber bleiben. Es wurde
zwölf, es wurde eins. Immer noch kein Ende. Da kam
Meusebach auf meine ›Liederhandschrift‹, die ich das
Glück gehabt hatte auf einem Trödel in Bonn zu ent-
decken, zu sprechen und meinte, es wäre hübsch,
wenn er das Buch mal sehen könnte. Das ›Sehen‹
verstand ich recht gut und beschloß bei mir, es ihm
zu Weihnachten zu verehren. Endlich um halb zwei
schieden wir und waren nach funfzehntehalb Stunden erster Bekanntschaft beide recht frisch und ver-
gnügt. Ich mußte versprechen, meinen Besuch bald
zu wiederholen, und es fiel mir denn auch nicht im
geringsten schwer, recht bald Wort zu halten.«
Gegen Ende seines Lebens hin empfand Meusebach
immer tiefer das Bedürfnis, ungestört seinen Studien
leben zu können. Er gab seine hohe richterliche Stel-
lung auf (1842) und zog sich nun nach Alt Geltow
zurück. Mit ihm ging seine Bibliothek. Aber nicht lan-
ge mehr hatte er sich dieser Muße zu freuen. Er
starb am 22. August 1847. Seine Bibliothek, ein
Schatz, wurde 1849 seitens der preußischen Regie-
rung erstanden und der Berliner Bibliothek einver-
leibt.
Hatte der Vater der stillen Welt seiner Bücher ange-
hört, so gehörte der Sohn (seiner äußeren Stellung
nach ebenfalls Jurist) um so voller der Außenwelt,
dem Markt des Lebens an. Er war in eminentem Sin-
ne ein »Lebemann«, geistreich, schlagfertig, eine
feine und spitze Zunge zugleich. Die Märzereignisse
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zogen ihn in die Politik; sein berühmter Ausspruch:
»Ich rieche Leichen«, womit er in den Oktobertagen
desselben Jahres auf die Tribüne trat, ist unverges-
sen geblieben und ein geflügeltes Wort geworden.
Die fünfziger Jahre sahen ihn im diplomatischen
Dienst erst als Generalkonsul in den Donaufürsten-
tümern, dann als Gesandten in Brasilien. Seine Wun-
derlichkeiten wuchsen. 1854 in Giurgevo war er im
türkischen Kugelregen nicht nur spazierengegangen,
sondern hatte seinen Rattenfänger auf das Apportie-
ren von Sprengstücken abgerichtet; acht Jahre spä-
ter in Rio verfiel er dem Wahnsinn. Seine Lebenswei-
se hatte die angeborene Exzentrizität unterstützt.
»Champagner in Eis« war sein steter Begleiter, und
seine oft abgegebene Versicherung, »daß er seines
Vaters Bibliothek in den Keller getragen habe«, war nur allzu richtig. So konnte die Katastrophe kaum
ausbleiben. Eine reich angelegte Natur ging in ihm
zugrunde.
Daß ich Gräbern wie diesen auf dem Geltower Kirch-
hofe begegnen würde, der Gedanke hat mir ferngelegen. Ich las die einfachen Inschriften, nahm ein
Efeublatt vom Grabe des Vaters und stand noch im-
mer wie im Bann dieser Stätte.
Unser Führer endlich löste ihn. »Da drüben ist noch
ein Grab, das Sie sehen müssen.« – Zugleich brach
er auf und gab uns dadurch das Zeichen, ihm zu fol-
gen.
Ein dichtes Fliedergestrüpp hatte uns wie eine Cou-
lisse von dem eigentlichen Kirchhof, der jetzt, wie
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erwähnt, seine zweite Bestellzeit hat, getrennt, und wir standen nunmehr, nachdem wir das Gestrüpp
glücklich durchbrochen, vor einer kleinen Gräberrei-
he, die das so lange brachgelegene Feld neu zu
durchziehen begann. Eines der Gräber war beson-
ders gehegt und gepflegt: ein Gartenbeet, mit Rosen
und Nelken, mit Levkojen und Heliotrop dicht über-
wachsen. Zu Häupten des Grabes stand ein Kreuz,
dahinter hohe Malven. Die Inschrift lautete: »Hier
ruhet in Gott Johann Schupke, geboren den
1. Februar 1822, gestorben den 30. November 1865.
Jesajas, Kapitel 57, Vers 2: ›Und
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