Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Besitzungen des kurfürstlichen
beziehungsweise königlichen Hauses in der Umge-
gend von Potsdam. 1842 wurde die Heide zur Erwei-
terung des Wildparks benutzt.
Geltow war immer arm; dieser Charakter verblieb
ihm durch alle Zeiten hin, und die schlichten Wände
seiner Kirche, deren wir eben ansichtig werden,
mahnen nur zu deutlich daran, daß die Pfarre, um
die Mitte des vorigen Jahrhunderts, 200 Taler trug.
Wir schreiten zunächst über einen Grabacker hin, der
seit zwanzig oder dreißig Jahren brachliegt und eben
wieder anfängt aufs neue bestellt zu werden. Zwi-
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schen den eingesunkenen Hügeln wachsen frische
auf; diese stehen in Blumen, während wilde Gerste
über die alten wächst.
Es ist Spätnachmittag; der Holunder blüht; kleine
blaue Schmetterlinge fliegen um die Gräber; ein lei-
ses Bienensummen ist in der Luft; aber man sieht
nicht, woher es kommt.
Die Kirchtür ist angelehnt; wir treten ein und halten
Umschau in dem schlichten Raume: weiße Wände,
eine mit Holz verschlagene Decke und hart an der
Giebelwand eine ängstlich hohe Kanzel, zu der eine
steile, gradlinige Seitenstiege führt.
Und doch das Ganze nicht ohne stillen Reiz. Krone
neben Krone; gestickte Bänder, deren Farben halb
oder auch ganz verblaßten; dazwischen Myrten- und
Immortellenkränze im bunten Gemisch. Das Ganze
ein getreues Abbild stillen dörflichen Lebens: er ward
geboren, nahm ein Weib und starb.
Es ist jetzt Sitte geworden, die Kirchen dieses
Schmuckes zu berauben. »Es sind Staubfänger«, so
heißt es, »es stört die Sauberkeit.« Richtig vielleicht und doch grundfalsch. Man nimmt den Dorfkirchen
oft das Beste damit, was sie haben, vielfach auch ihr
– Letztes. Die buntbemalten Fenster, die großen
Steinkruzifixe, die Grabsteine, die vor dem Altar la-
gen, die Schildereien, mit denen Liebe und Pietät die
Wandpfeiler schmückte – sie sind alle längst hinweg-
getan; »Sie nahmen das Licht«, oder »Sie waren zu
katholisch«, oder »die Fruen und Kinner verfierten
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sich«. Nur die Braut- und Totenkronen blieben noch.
Sollen nun auch diese hinaus? Soll alles fort, was diesen Stätten Poesie und Leben lieh? Was hat man
denn dafür zu bieten? Diese Totenkronen, zur Erin-
nerung an Heimgegangene, waren namentlich dem
aufs Saubere und Ordentliche gestellten Sinn Fried-
rich Wilhelms III. nicht recht. In den Dorfkirchen, wo
er sonntags zum Gottesdienste erschien, duldete er
sie nicht. Er gestattete aber Ausnahmen. Pastor Leh-
nert in Falkenrehde erzählt: »Eine alte Kolonisten-
witwe in meiner Gemeinde verlor ihren Enkel, den
sie zu sich genommen und erzogen hatte und der ihr
ein und alles war. Sie ließ eine reich mit Bändern
verzierte Totenkrone anfertigen und begehrte, solche
neben ihrem Sitze in der Kirche aufhängen zu dür-
fen, ›weil sie sonst keine Ruhe und keine Andacht
mehr habe‹.« Pastor Lehnert gab nach. Der König,
bei einem nächsten Kirchenbesuche von Paretz aus,
bemerkte die Krone und äußerte sich mißfällig; als
ihm aber der Hergang mitgeteilt wurde, fügte er hin-
zu: » Will der Frau ihre Ruhe und Andacht nicht neh-
men .« – Solche Fälle, wo »Ruhe und Andacht« eines treuen und liebevollen Herzens an einem derartigen,
noch dazu höchst malerischen Gegenstande hängen,
sind viel häufiger, als nüchterne Verordnungen Un-
beteiligter voraussetzen mögen.
Die Alt-Geltower scheinen so empfunden zu haben
und haben ihren besten Schmuck zu bewahren ge-
wußt. Die Giebelwand, an der sich Kanzel und Kan-
zeltreppe befinden, ist ganz in Kronen und Kränze
gekleidet, im ganzen zählte ich siebenzig, und dazwi-
schen hängen jene bekannten schwarz und weißen
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Tafeln, an deren Häkchen die Kriegsdenkmünzen aus
der Gemeinde ihre letzte Stätte finden. Die eine Tafel
erzählte von 1813; auf der andern las ich folgendes:
»Aus diesem Kirchspiel starben im Befreiungskriege
für ihre deutschen Brüder in Schleswig-Holstein: F. W. Kupfer, gefallen vor Düppel am 17. März 1864;
Carl Wilhelm Lüdeke, gestorben an seinen Wunden
im Lazarett zu Rinkenis am 22. März 1864.
Vergiß die treuen Toten nicht.«
Das Jahr 1866 schien ohne Opferforderung an Alt
Geltow vorübergegangen zu sein. Aber jetzt ! Manch neuer Name wird sich zu den alten gesellen.
In der Kirche hatte sich ein Mann aus dem Dorfe, ich
weiß nicht, ob Lehrer oder Küster, zu uns gefunden.
»Nun müssen Sie noch die Meusebachsche Begräb-
nisstätte
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