Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Ursach, daß keine Rückschläge erfolg-
ten und Stadt Werder durch allen Zeitenwirrwarr
hindurchgehen konnte, ohne die Kriegsrute zu emp-
finden, die für das umliegende Land, wie für alle üb-
rigen Teile von Mark Brandenburg, oft so hart ge-
bunden war. Der Dreißigjährige Krieg zog wie ein
Gewitter, »das nicht über den Fluß kann«, an Werder
vorüber; die Brücke war weislich abgebrochen, jedes
Fahrzeug geborgen und versteckt, und wenn der
scharf eintretende Winterfrost die im Sommer ge-
wahrte Sicherheit zu gefährden drohte, so ließen
sich's die Werderaner nicht verdrießen, durch be-
ständiges Aufeisen der Havel ihre insulare Lage wie-
derherzustellen. So brachen nicht Schweden, nicht
Kaiserliche in ihren Frieden ein, und es ist selbst
fraglich, ob der »schwarze Tod«, der damals über
2231
das märkische Land ging, einen Kahn fand, um vom
Festland nach der Insel überzusetzen.
Das war der Segen, den die Insellage schuf, aber sie
hatte auch Nachteile im Geleit und ließ den von An-
fang an vorhanden gewesenen Hang, sich abzu-
schließen, in bedenklichem Grade wachsen. Man
wurde eng, hart, selbstsüchtig; Werder gestaltete
sich zu einer Welt für sich, und der Zug wurde immer
größer, sich um die Menschheit draußen nur insoweit
zu kümmern, als man Nutzen aus ihr ziehen konnte.
Diese Exklusivität hatte schon in den Jahren, die
dem Dreißigjährigen Kriege vorausgingen oder mit
ihm zusammenfielen, einen hohen Grad erreicht. In
Aufzeichnungen aus jener Zeit finden wir folgendes:
»Die Menschen hier sind zum Umgange wenig ge-
schickt und gar nicht aufgelegt, vertrauliche Freund-
schaften zu unterhalten. Sie hassen alle Fremden,
die sich unter ihnen niederlassen, und suchen sie
gern zu verdrängen. Vor den Augen stellen sie sich
treuherzig, hinterm Rücken sind sie hinterlistig und
falsch. Von außen gleißen sie zwar, aber von inwen-
dig sind sie reißende Wölfe. Sie sind sehr abergläu-
bisch, im Gespenstersehen besonders erfahren, ha-
ben eine kauderwelsche Sprache, üble Kinderzucht,
schlechte Sitten und halten nicht viel auf Künste und
Wissenschaften. Arbeitsamkeit und sparsames Leben
aber ist ihnen nicht abzusprechen. Sie werden selten
krank und bei ihrer Lebensart sehr alt.«
War dies das Zeugnis, das ihnen um 1620 oder 1630
ein unter ihnen lebender »Stadtrichter«, also eine
beglaubigte Person, ausstellen mußte, so konnten
2232
150 Jahre weiterer Exklusivität in Gutem wie Bösem
keinen wesentlichen Wandel schaffen, und in der Tat,
unser mehrzitierter Chronist bestätigt um 1784 nur
einfach alles das, was Stadtrichter Irmisch (dies war
der Name des 1620 zu Gericht Sitzenden) so lange
Zeit vor ihm bereits niedergeschrieben hatte. Die Übereinstimmung ist so groß, daß darin ein eigentümliches Interesse liegt.
»Die Bewohner von Werder«, so bestätigt Schöne-
mann, »suchen sich durch Verbindungen untereinan-
der zu vermehren und nehmen Fremde nur ungern
unter sich auf . Sie sind stark, nervig, abgehärtet, sehr beweglich. Sie stehen bei früher Tageszeit auf
und gehen im Sommer schon um zwei Uhr an die
Arbeit; sie erreichen siebzig, achtzig und mehrere
Jahre und bleiben bei guten Kräften. Ihre Kinder ge-
wöhnen sie zu harter Lebensart; im frühesten Alter
werden sie mit in die Weinberge genommen, um
ihnen die Liebe zur Arbeit mit der Muttermilch einzuflößen. Die Kinder werden bis zum achten oder neun-
ten Jahre in die Schule geschickt, lernen etwas lesen,
wenig schreiben und noch weniger rechnen. Die
meisten bleiben ungesittet; das kommt aber nicht in
Betracht, weil ihnen an dem zeitlichen Gewinn gele-
gen ist. Viele natürliche Fähigkeiten sind bei ihnen nicht anzutreffen , und sie halten fest am Alten. Sie lieben einen springenden Tanz und machen Aufwand
bei ihren Gastmählern. Im übrigen aber leben sie
kärglich und sparsam und suchen sich durch Fleiß
und Mühe ein Vermögen zu erwerben .«
2233
Welche Stabilität durch anderthalb Jahrhunderte! Im
übrigen, wenn man festhält, wie tief der Egoismus in
aller Menschennatur überhaupt steckt und daß es zu
alledem zwei »Fremde«, zwei »Zugezogene« waren,
die den Werderanern die vorstehenden, gewiß nicht
allzu günstig gefärbten Zeugnisse ausstellten, so
kann man kaum behaupten, daß die Schilderung ein
besonders schlechtes Licht auf die Inselbewohner
würfe. Hart, zäh, fleißig, sparsam, abgeschlossen,
allem Fremden und Neuen abgeneigt, das
Weitere Kostenlose Bücher