Wanderungen durch die Mark Brandenburg
»Neue Muse-
um« von damals ist schon wieder zu einem alten
geworden, die Bilder jener Tage aber sind nicht
verblaßt und als unsere Havelwanderungen vor lang
oder kurz begannen und unser Auge, von den Kup-
pen und Berglehnen am Schwielow aus, immer wie-
der der Spitzturmkirche von Werder gewahr wurde,
da gemahnte es uns wie alte Schuld und alte Liebe,
und die Jugendsehnsucht nach den Werderschen
stieg wieder auf: hin nach der Havelinsel und ihrem
grünen Kranz, »wo tief im Laub die Knupperkirschen
glühn«.
Und wie alle echte Sehnsucht schließlich in Erfüllung
geht, so auch hier, und ehe noch der Juli um war,
brauste der Zug wieder über die große Havelbrücke,
erst rasch, dann seinen Eilflug hemmend, bis er zu
Füßen eines Kirschberges hielt: »Station Werder!«
Noch eine Drittelmeile bis zur Stadt ; eine volle Drittelmeile, die einem um drei Uhr nachmittags, bei
siebenundzwanzig Grad im Schatten und absoluter
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Windstille schon die Frage vorlegen kann: ob nicht
doch vielleicht ein auf hohen Rädern ruhendes, sarg-
artiges Ungetüm, das hier unter dem Namen »Omni-
bus« den Verkehr zwischen Station und Stadt unter-
hält, vor Spaziergangsversuchen zu bevorzugen sei.
Aber es handelt sich für uns nicht um die Frage »be-
quem oder unbequem«, sondern um Umschau , um
den Beginn unserer Studien, da die großen Kirsch-
plantagen, die den Reichtum Werders bilden, vor-
zugsweise zu beiden Seiten ebendieser Wegstrecke
gelegen sind, und so lassen wir denn dem Omnibus
einen Vorsprung, gönnen dem Staube zehn Minuten
Zeit, sich wieder zu setzen, und folgen nun zu Fuß
auf der großen Straße.
Gärten und Obstbaumplantagen zu beiden Seiten;
links bis zur Havel hinunter, rechts bis zu den Kup-
pen der Berge hinauf. Keine Spur von Unkraut; alles
rein geharkt; der weiße Sand des Bodens liegt oben-
auf. Große Beete mit Erdbeeren und ganze Kirsch-
baumwälder breiten sich aus. Wo noch vor wenig
Jahren der Wind über Thymian und Hauhechel strich,
da hat der Spaten die schwache Rasennarbe umge-
wühlt, und in wohlgerichteten Reihen neigen die
Bäume ihre fruchtbeladenen Zweige.
Je näher zur Stadt, um so schattiger werden rechts
und links die Gärten; denn hier sind die Anlagen äl-
ter, somit auch die Bäume. Viele der letzteren sind
mit edleren Sorten gepfropft, und Leinwandbänder
legen sich um den amputierten Ast, wie die Bandage
um das verletzte Glied. Hier mehren sich auch die
Villen und Wohnhäuser, die großenteils zwischen
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Fluß und Straße, also zur Linken der letzteren, sich
hinziehen. Eingesponnen in Rosenbüsche, umstellt
von Malven und Georginen, entziehen sich viele dem
Auge, andere wieder wählen die lichteste Stelle und
grüßen durch die weitgestellten Bäume mit ihren
Balkonen und Fahnenstangen, mit Veranden und
Jalousien.
Eine reiche, immer wachsende Kultur! Wann sie ih-
ren Anfang nahm, ist bei der Mangelhaftigkeit der
Aufzeichnungen nicht mehr festzustellen. Es scheint
aber fast, daß Werder als ein Fischerort ins siebzehn-
te Jahrhundert ein- und als ein Obst- und Gartenort
aus ihm heraustrat. Das würde dann darauf hindeu-
ten, daß sich die Umwandlung unter dem Großen
Kurfürsten vollzogen habe, und dafür sprechen auch
die mannigfachsten Anzeichen. Die Zeit nach dem
Dreißigjährigen Kriege war wieder eine Zeit großarti-
ger Einwanderung in die entvölkerte Mark, und mit
den garten kundigen Franzosen, mit den Bouchés und Matthieus, die bis auf diesen Tag in ganzen Quartieren der Hauptstadt blühen, kamen ziemlich gleichzei-
tig die agrikultur kundigen Holländer ins Land. Unter dem, was sie pflegten, war auch der Obstbau . Sie waren von den Tagen Luise Henriettens, von der
Gründung Oranienburgs und dem Auftreten der kle-
veschen Familie Hertefeld an die eigentlichen land-
wirtschaftlichen Lehrmeister für die Mark, speziell für das Havelland , und wir möchten vermuten, daß der eine oder andere von ihnen, angelockt durch den
echt holländischen Charakter dieser Havelinsel, sei-
nen Aufenthalt hier genommen und die große Um-
wandlung vorbereitet habe. Vielleicht wäre aus den
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Namen der noch lebenden werderschen Geschlechter
festzustellen, ob ein solcher holländischer Fremdling
jemals unter ihnen auftauchte. Bemerkenswert ist es
mir immer erschienen, daß die Werderaner in »Schu-
ten« fahren, ein niederländisches Wort, das in den
wendischen Fischerdörfern, soviel ich weiß, nie
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