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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

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Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Fragen . Wir kennen sie, sie sind uns gegenwärtig. Was soll uns die Aufzeich-2221
    nung? Was soll uns das Geschriebene? Wir haben die
    Tradition . Wir sind führerlos, führen wir uns selbst.
    Der Staat, unser Staat, über alles. ›L'État c'est nous!‹«
    Eine außerordentliche Bewegung hatte sich aller be-
    mächtigt. »Das Ei des Kolumbus!« riefen einige der
    Bemoosten. Man schüttelte sich die Hände, es war
    eine Szene wie auf der Rütliwiese; alte Gelübde wur-
    den erneuert, und, was mehr ist, man hielt sie.
    Neu Geltow blieb. Die villenartigen Häuschen, die,
    wenn der exodus referendariorum eine Wirklichkeit
    geworden wäre, längst ihr zierliches Blütengerank
    mit Kürbis und Stangenbohnen vertauscht haben
    würden, verblieben in ihrem Rosen- und Geißblatt-
    schmuck, und nichts war geschehen, als – die Ver-
    fassung war geändert. Die monarchische Spitze war
    abgebrochen, errungen war eine freie Schweiz.
    Während wir über dies und ähnliches sprachen, hat-
    ten wir die letzten Häuser von Neu Geltow erreicht,
    und müde vom Marschieren, dazu trocken in der
    Kehle, setzten wir uns auf eine am Ackerrand liegen-
    de Walze, um hier aus freier Hand ein etwas verspä-
    tetes Vesperbrot einzunehmen. Ich richtete dabei
    allerhand Fragen an meinen Gefährten, der, wie sich
    der Leser aus früheren Kapiteln freundlich erinnern
    wird, diese Territorien zwischen Havel und Schwie-
    low-See wie seine zweite Heimat kannte, und ließ
    mir, unter immer wachsendem Interesse, von den
    sozialen Zuständen dieser Kolonie erzählen, von Par-
    teien und Gegensätzen, von Krieg und Frieden, von

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    Réunions und Festlichkeiten und von den delikaten
    Beziehungen zwischen Wirten und Mietern.
    »Diese Beziehungen«, so nahm der Gefährte einge-
    hender das Wort, »sind sehr gut, wie Sie sich denken
    können; es wird hier studiert, aber es wird doch
    auch gelebt , und überraschlich ist mir immer nur das eine erschienen, daß, bei aller persönlichen Hinneigung zu der unter ihnen weilenden jungen Rechts-
    und Regierungswelt, die Hauswirte und Villenbesit-
    zer, die Autochthonen von Neu Geltow, eine ent-
    schiedene Vorliebe für höchst unjuristische Aushilfen
    an den Tag legen. Ob die in den Zimmern ihrer Mie-
    ter aufgehäuften Wälzer und Pandektenstöße die
    Frage in ihnen angeregt haben: ›Wer soll da Recht finden?‹ – gleichviel, es ist eine Tatsache, daß sie
    eine Art Passion für das aide-toi-même und für ein
    ›abgekürztes Gerichtsverfahren‹ haben.
    Sehen Sie hier drüben das Haus neben dem Eiskel-
    ler?« fuhr mein Reisegefährte fort. Ich nickte. »Nun
    gut; in dem zweiten Hause dahinter, mit den Jalou-
    sien und der kleinen Veranda, wohnen zwei Brüder,
    Kaufleute ihres Zeichens, die sich aus den Geschäf-
    ten wohl oder übel zurückgezogen haben und als
    Zimmervermieter und Hoteliers kleineren Stils in der
    frischen Luft von Neu Geltow das Nützliche mit dem
    Angenehmen zu verbinden trachten. Sie heißen Ro-
    bertson, erzählen von einem rätselhaften Urgroßva-
    ter, der aus Schottland hierher verschlagen wurde,
    und haben ihre Sofas mit Tartan in den Clanfarben
    der Robertsons überzogen. Ihre Vornamen sind Wil-
    helm und Robert, wobei jener, wenn es sich darum

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    handelt, ›to do the honours for all Scotland‹, im Vor-
    teil ist, indem er sich beliebig aus einem Wilhelm in
    einen William umwandeln kann, während der jüngere
    durch eine Art Sprachtücke unter allen Umständen
    ein Robert bleibt. Er hat dafür den Vorzug der Allite-
    ration und eines gewissen Skandinavismus: Robert
    Robertson.
    Sie müssen diese Abschweifung meiner Erzählung
    verzeihen. Aber die beiden Brüder sind eben die Hel-
    den meiner Geschichte, und wenn es auch eine be-
    kannte Sache ist, daß man seine Lieblingsfiguren am
    besten durch Tatsachen schildert, so werden Sie
    doch eine kurze Charakterisierung gelten lassen.
    Robert, zu der Zeit, wo meine Geschichte spielt, hat-
    te die linke, Wilhelm die rechte Seite des Hauses
    inne. Sie können deutlich die Giebelfenster des letz-
    teren sehen. Es war an einem frischen Oktobermor-
    gen, die Sonne war noch nicht heraus, als Robert an
    die Jalousien von seines Bruders Schlafzimmer poch-
    te. Dieser ließ nicht lange auf sich warten und öffne-
    te: ›Wilhelm, sie sind bei dir eingebrochen.‹ Das war
    ein Donnerwort.
    Aber über Wilhelm kam jetzt der alte Geist seiner
    Heimat; die Schotten sind scharf in Mein-und-dein-
    Fragen; er sprang in die Kleider, dann in den

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