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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Hof.
    Wer ihn gesehen hätte, hätte ausrufen müssen: ›Je-
    der Zoll ein William.‹ Der Einbruch war rasch konsta-
    tiert; der Dieb war mit Hilfe einer Feuerleiter in das
    oberste Giebelfenster, da, wo Sie jetzt das Licht se-
    hen, eingestiegen, hatte dem nachbarlichen Rauch-

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    fang drei Schinken und sieben Würste, einer auf dem
    Boden stehenden Truhe ein Bettenbündel entführt
    und war dann auf demselben Wege verschwunden,
    auf dem er gekommen war. Die Feuerleiter wieder
    an ihren Platz zu bringen, hatte er nicht für nötig
    befunden.
    Einen Augenblick schien guter Rat teuer, als Robert,
    ohne eine Ahnung von der Wichtigkeit seiner Bemer-
    kung zu haben, vor sich hin murmelte: ›Und der Kin-
    derwagen ist auch weg.‹
    Der ältere Bruder richtete sein Auge nach der
    Schuppenecke, wo sonst der Wagen zu stehen pfleg-
    te; die Stelle war leer; er stieß die linke Faust triumphierend in die Höh und schrie: ›Jetzt kriegen wir
    ihn.‹ Es war ersichtlich, daß der Dieb sich des Wa-
    gens bemächtigt hatte, um seine Beute rascher und
    bequemer fortschaffen zu können; dem Bestohlenen
    aber stand es auf einen Schlag vor der Seele, daß er
    an der Apartheit der Räderspur eines Kinderwagens
    die Spur des Feindes und endlich ihn selber finden
    würde.
    ›Sollen wir Anzeige machen?‹ unterbrach Robert.
    ›Ei, was, Anzeige. Das wissen wir in Neu Geltow bes-
    ser.‹ Damit sprang er ins Haus zurück, stülpte sich
    eine Filzkappe auf und stand im nächsten Moment
    mit zwei Dornstöcken wieder auf dem Hof. ›Da,
    nimm.‹
    ›Willst du nicht lieber die Pistolen...‹

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    ›Nein, ein Knittel geht immer los.‹ Damit trat er auf
    die nach Potsdam führende Chaussee. Der Bruder
    folgte.
    Nun begann ein Suchen, wie es seit den Tagen des
    ›letzten Mohikaners‹ nicht mehr erlebt worden ist.
    Alle Künste, die Falkenauge in seinen besten Momen-
    ten geübt, alle Instinkte, die den Unkas und Chin-
    gachgook jemals siegreich geleitet, wenn sie aus
    einem abgebrochenen Tannenzweig oder aus dem
    Tritt des Mokassins die Spur zu entdecken und die
    schon verlorene wieder aufzufinden wußten, alle die-
    se Künste und Instinkte, sie wurden überboten von
    dem, was jetzt William Robertson in dieser frühen
    Oktoberstunde leistete. Das Terrain war das schwie-
    rigste von der Welt. Es hatte in der Nacht geregnet
    und der Staub, der sonst auf der Chaussee liegt, war
    weggespült worden. Aber wenn die harte Steinstraße
    keine Spur herausgab, so zeigte sie sich dafür alle-
    mal da, wo der Kinderwagen momentan in den soge-
    nannten Sommerweg eingebogen war, wie in eine
    Form gegossen. Die Brüder sprachen kein Wort, aber
    in solchem Augenblick begrüßten sich ihre Blicke.
    So hatten sie die Spur bis zum Tore verfolgt; hier
    mußte sich's entscheiden. War er ein Potsdamer und
    hier in die Stadt hinein gefahren, so waren alle Mühen umsonst gewesen; war er aber ein Berliner (und allerhand Zeichen hatten schon dafür gesprochen),
    war er, statt in die Stadt, um diese herum und auf die Berliner Chaussee gebogen, so mußte er eingeholt werden. Richtig; da war die Spur. Der Sieg ges-

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    taltete sich mutmaßlich nur noch zu einer Frage der
    Zeit.
    Also weiter. Es war jetzt schon um die neunte Stun-
    de. Als sie eben die große Glienicker Brücke passiert
    hatten, sahen sie eine Schwadron Gardehusaren des
    Weges kommen. ›Habt ihr nicht einen Mann und ei-
    nen Kinderwagen gesehn?‹ – ›Jawohl; er muß jetzt
    hinter Dreilinden sein, auf Neu-Zehlendorf zu.‹
    Die Hoffnung sank wieder. Der Vorsprung war zu
    groß. Die Kräfte ließen nach. In diesem kritischen
    Moment indessen kam von einem der Etablissements
    her eine Morgendroschke gefahren, die nach Pots-
    dam zurück wollte. ›Halt! Zwanzig Silbergroschen bis
    Neu-Zehlendorf.‹ Der Kutscher rührte sich nicht. ›Ei-
    nen Taler.‹ Er nickte. ›Noch ein Trinkgeld, Kutscher,
    aber nun laßt Euren Wettrenner laufen.‹
    Was soll ich die Katastrophe länger hinausschieben!
    Sie erraten ohnehin den Ausgang. In einem Chaus-
    seegraben zwischen Dreilinden und Zehlendorf, hart
    zur Linken des Weges, saß der Gegenstand dieser
    energischen Suche und frühstückte, eine der geraub-
    ten Speckseiten neben sich, mit der ganzen Ruhe
    eines guten Gewissens, während der Kinderwagen
    mit seinem Bettenbündel wie das Junge eines
    Frachtwagens mitten auf der Chaussee stand. Dieser
    letztere Umstand sollte dem arglosen Frühstücker
    besonders verhängnisvoll werden, denn die

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