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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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gestörte
    Straßenkommunikation ließ nunmehr ein Ausbiegen
    nach links hin oder das ›Gewinnen der inneren Li-
    nie‹, wie die Strategen sagen würden, völlig unver-

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    fänglich erscheinen. So gelang ein totaler Überfall.
    Im Moment des Vorbeifahrens stürzten sich die bei-
    den Brüder aus der schon vorher leise geöffneten
    Droschkentür auf ihr Opfer, entrissen ihm, unter Gel-
    tendmachung ihrer ›immer losgehenden Waffe‹, das
    Klappmesser, das der Überraschte einen Augenblick
    Miene machte à deux mains zu gebrauchen, und lu-
    den ihn dann ein, den Mittelplatz in ihrer Droschke
    einzunehmen. ›Er werde wohl müde sein.‹ Der Kin-
    derwagen wurde angehakt, und so ging es im Tri-
    umph rückwärts, über die Glienicker Brücke. › Jetzt
    wollen wir Anzeige machen‹, rief William seinem
    Bruder zu. › Wer die Doktors kennt , kuriert sich erst selber.‹
    Da haben Sie meine Geschichte. Sie mag Ihnen den
    Satz illustrieren, womit ich anfing, die Neigung zum
    ›abgekürzten Verfahren‹.«
    Unser Vesperbrot war längst beendet; wir erhoben
    uns von unsrer Walze und schritten munter in den
    Forst hinein. Es dunkelte stark, trotzdem die Sterne
    jetzt heller schienen. Wo eine Lichtung war und ein
    mäßig heller Schein auf den Weg fiel, musterte ich
    unwillkürlich die Gleise, ob nicht eine Kinderwagen-
    spur sie durchschnitt oder begleitete.

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    Werder
    Die Insel und ihre Bevölkerung.
    Stadt und Kirche.
    »Christus als Apotheker«

    Es möchte sich niederneigen
    In die spiegelklare Flut,
    Es möchte streben und steigen
    In der Abendwolken Glut.
    Uhland

    I do remember an apothecary,
    And hereabout he dwells;... green earthen pots
    Were thinly scatter'd to make up a show.
    Shakespeare

    Der Reisende, den von Berlin aus sein Weg nach
    Westen führt, sei es, um angesichts des Kölner oder auch schon des Magdeburger Domes zu landen, hat
    – wie immer ablehnend er sich gegen die Schönhei-
    ten von Mark Brandenburg verhalten möge –, we-
    nigstens zu Beginn seiner Fahrt, solange die grünen
    Hänge von Potsdam ihm zur Seite bleiben, einige

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    Partien zu durchfliegen, die er nicht Anstand nehmen
    wird als Oasen gelten zu lassen. Wenn aber all die
    lachenden Bilder zwischen Schloß Babelsberg und
    dem Pfingstberg, zwischen der Pirschheide und dem
    Golmer Bruch ihn unbekehrt gelassen hätten, so
    würde doch das prächtige See- und Flußpanorama
    ihn entzücken müssen, das die große Havelbrücke
    eine Meile westwärts von Potsdam vor ihm auftut und das ihm nach rechts hin eine meilenbreite, se-gelbedeckte Fläche, nach links hin eine giebelreiche,
    rot und weiß gemusterte, in dem klaren Havelwasser
    sich spiegelnde gotische Kirche zeigt. Um sie herum
    ein dichter Häuserkranz: Stadt Werder.
    Stadt Werder, wie ihr Chronist Ferdinand Ludwig
    Schönemann in einem 1784 erschienenen Buche er-
    zählt, liegt auf einer »gänzlichen Insel«. Diese um-
    faßt sechsundvierzig Morgen. »Zur Sommerzeit,
    wenn das Wasser zurückgetreten ist, kann man die
    Insel in einer Stunde umschreiten; sie aber zu um-
    fahren, sei es in einem Kahn oder einer Schute, dazu
    sind zwei Stunden erforderlich. Ein solches Umfahren
    der Insel an schönen Sommerabenden gewährt ein
    besonderes Vergnügen, zumal wenn des Echos hal-
    ber die Fahrt von einem Waldhornisten begleitet wird.« Der Chronist hat hier eine romantische An-wandlung, die wir hervorgehoben haben wollen, weil
    sie in seinem Buche die einzige ist.
    Der Boden der Insel ist fruchtbar, größtenteils fett
    und schwarz; nur ein geringer Strich, von sehr unpo-
    etischem Namen, ist morastig. Was die Entstehung
    der Stadt angeht, so heißt es, daß sich die Bewohner

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    eines benachbarten Wendendorfes, nach dessen Zer-
    störung durch die Deutschen, vom Festlande auf die
    Insel zurückgezogen und hier eine Fischerkolonie
    gegründet hätten. »Doch beruht« – wie Schönemann
    sinnig hervorhebt – »die Gewißheit dieser Meinung bloß auf einer unsicheren Überlieferung.«
    Unsicher vielleicht, aber nicht unwahrscheinlich. Das
    umliegende Land wurde deutsch, die Havelinsel blieb
    wendisch. Die Gunst der Lage machte aus dem ur-
    sprünglichen Fischerdorfe alsbald einen Flecken (als
    solchen nennt es bereits eine Urkunde aus dem Jah-
    re 1317), und abermals hundert Jahre später war
    aus dem Flecken ein Städtchen geworden, dem Kur-
    fürst Friedrich II. bereits zwei Jahrmärkte bewilligte.
    So blieb es in allmählichem Wachsen, und seine In-
    sellage wurde

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