Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Ländern erscheinen um diese
Zeit, um ihren Einkauf zu machen. In der Re-
gel werden in Lübbenau 20 000 Zentner ver-
kauft, was einer Einnahme von 600 000 Mark
gleichkommt. Ich gebe diese Zahlen ohne
Gewähr, wie ich sie finde.
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2. Lehde
Er übernahm unsere Führung, sagt ich, und nach
kurzem Gange durch Stadt und Park erreichten wir
den Hauptspreearm, auf dem die für uns bestimmte
Gondel bereits im Schatten eines Buchenganges lag.
Drei Bänke mit Polster und Rücklehne versprachen
möglichste Bequemlichkeit, während ein Flaschen-
korb von bemerkenswertem Umfang – aus dem, so-
oft der Wind das Decktuch ein wenig zur Seite weh-
te, verschiedene rot und gelb gesiegelte Flaschen
hervorlugten – auch noch für mehr als bloße Be-
quemlichkeit sorgen zu wollen schien. Am Stern des
Bootes, das lange Ruder in der Hand, stand Christian
Birkig, ein Funfziger mit hohen Backenknochen und
eingedrückten Schläfen, dem für gewöhnlich die
nächtliche Sicherheit Lübbenaus, heut aber der Ru-
der- und Steuermannsdienst in unserem Spreeboot
oblag.
Wir stiegen ein, und die Fahrt begann. Gleich die
erste halbe Meile ist ein landschaftliches Kabinett-
stück und wird insoweit durch nichts Folgendes über-
troffen, als es die Besonderheit des Spreewaldes:
seinen Netz- und Inselcharakter, am deutlichsten
zeigt. Dieser Netz- und Inselcharakter ist freilich ü-
berall vorhanden, aber er verbirgt sich vielfach, und nur derjenige, der in einem Luftballon über das viel-durchschnittene Terrain hinwegflöge, würde die zu
Maschen geschlungenen Flußfäden allerorten in ähn-
licher Deutlichkeit wie zwischen Lübbenau und Lehde
zu seinen Füßen sehen.
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Der Boden dieses Inselgewirrs ist fast überall eine
Gartenerde. Der reiche Viehstand der Dörfer schuf
hier von alters her einen Düngeruntergrund, auf dem
dann die Mischungen und Verdünnungen vorgenom-
men werden konnten, wie sie dieses oder jenes Pro-
dukt des Spreewaldes erforderte.
Die Wassergewächse, die von beiden Seiten her uns
stromaufwärts begleiten, bleiben dieselben; Butomus
und Sagittaria lösen sich untereinander ab, und nur
hier und da gesellt sich, unter dem überhängenden
Rande geborgen, eine wuchernde Vergißmeinnicht-
Einfassung hinzu.
Es ist Sonntag, die Arbeit ruht, und die große Fahr-
straße zeigt sich verhältnismäßig leer; nur selten
treibt ein mit frischem Heu beladener Kahn an uns
vorüber, und Bursche handhaben das Ruder mit gro-
ßem Geschick. Sie sitzen weder auf der Ruderbank,
noch schlagen sie taktmäßig das Wasser, vielmehr
stehen sie grad aufrecht am Hinterteile des Boots,
das sie nach Art der Gondoliere vorwärts bewegen.
Dies Aufrechtstehen, und mit ihm zugleich ein be-
ständiges Anspannen all ihrer Kräfte, hat dem gan-
zen Volksstamm eine Haltung und Straffheit gege-
ben, die man bei der Mehrzahl unserer sonstigen
Dorfbewohner vermißt. Und zwar in den armen Ge-
genden am meisten. Der Knecht, der vornüber im
Sattel hängt oder, auf dem Strohsack seines Wagens
sitzend, mit einem schläfrigen »Hoi« das Gespann
antreibt, kommt kaum je dazu, seine Brust und
Schulterblätter zurechtzurücken oder sein halb
krummgebogenes Rückgrat wieder geradezubiegen,
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der Spreewäldler aber, dem weder Pferd noch Wagen
ein Sitzen und Ausruhen gönnt, befindet sich eigent-
lich immer auf dem Quivive. Das Ruder in der Hand,
steht er wie auf Posten und kennt nicht Hindämmern
und Halbarbeit.
Wenn es schon ein reizender Anblick ist, diese
schlanken und stattlichen Leute in ihren Booten vor-
überfahren zu sehn, so steigert sich dieser Reiz im
Winter, wo jeder Bootfahrer ein Schlittschuhläufer
wird. Das ist dann die eigentliche Schaustellung ihrer
Kraft und Geschicklichkeit. Dann sind Fluß und Inseln
eine gemeinschaftliche Eisfläche, und ein paar Bret-
ter unter den Füßen, die halb Schlitten, halb Schlitt-
schuh sind, dazu eine sieben Fuß lange Eisstange in
der Hand, schleudert sich jetzt der Spreewäldler mit
mächtigen Stößen über die blinkende Fläche hin.
Dann tragen sie auch ihr nationales Kostüm: kurzen
Leinwandrock und leinene Hose, beide mit dickem
Fries gefuttert, und Spreewaldstiefel, die fast bis an
die Hüfte reichen.
Es ist Sonntag, sagt ich, und die Arbeit ruht. Aber an
Wochentagen ist die Straße, die wir jetzt still hinauf-
fahren, von früh bis spät belebt, und alles nur Denk-
bare, was sonst auf Knüppeldamm und Landstraße
seines
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