Wanderungen durch die Mark Brandenburg
ein
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paar Schritt entgegengekommen und bat uns, in
seine Wohnung einzutreten. Wir zogen indes einen
Platz im Freien vor und machten es uns auf einem
von Kirschbäumen beschatteten Rasenplatze be-
quem. Was an Tisch' und Bänken im Hause war,
stand bald draußen, und zuletzt erschien auch ein
blaugemustertes Kaffeeservice, das unverkennbar
einer besseren Zeit angehörte. Der Kätner ent-
stammte nämlich einer alten Spreewalds-
Honoratiorenfamilie, daraus selbst Geistliche hervor-
gegangen waren, und ein leiser Unmut über ein ge-
wisses Zurückgebliebensein hinter diesen histori-
schen Rangverhältnissen lag auf seinem Gesicht. Er
sprach dies auch unumwunden aus und verriet über-
haupt eine Nervosität, wie man ihr bei Leuten seines
Standes nur selten begegnet. Ich nahm ihn daraufhin
von Anfang an für einen Konventikler und fand es
bestätigt, als er eine Weile danach anfrug, ob es uns
vielleicht genehm sein würde, seine Kinder ein mehr-
stimmiges Lied singen zu hören, auf das sie leidlich
eingeübt seien. Wir bejahten die Frage natürlich, und
alsbald klang es mit jener unwiderstehlichen Innig-
keit, wie sie nur Kinderstimmen eigen zu sein pflegt,
durch die sommerstille Luft:
Jesu, geh voran
Auf der Lebensbahn,
Und wir wollen nicht verweilen,
Dir getreulich nachzueilen.
Führ uns an der Hand
Bis ins Vaterland.
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Eine Pause trat ein, und erst als Kätner Post uns ge-
mustert und sich über unsere Teilnahme vergewis-
sert hatte, gab er aufs neue das Zeichen und sang
nun selber mit:
Soll's uns hart ergehn,
Laß uns feste stehn
Und auch in den schwersten Tagen
Niemals über Lasten klagen,
Denn durch Trübsal hier
Geht der Weg zu dir.
Rühret eigner Schmerz
Irgend unser Herz,
Kümmert uns ein fremdes Leiden,
O so gib Geduld zu beiden,
Richte unsren Sinn
Auf das Ende hin.
Ordne unsren Gang,
Jesu, lebenslang;
Führst du uns durch rauhe Wege,
Gib uns auch die nöt'ge Pflege,
Tu uns nach dem Lauf
Deine Türe auf.
Das Lied hätte die doppelte Zahl von Strophen haben
können, wir wären willig gefolgt. Es hatte jeden von
uns ergriffen, am meisten den Nestor unseres Krei-
ses, der fast verlegen vor sich nieder sah und auf
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unsere wiederholte Frage nach dem »Warum« end-
lich antwortete: »Sie sind alle bewegt durch das
Lied. Ich bin es doppelt und muß es sein. Daß Ihnen dieses Lied hier begegnet, ist zu bescheidenem Teile
mein Verdienst. Es sind jetzt gerade fünf Jahre, daß
ich auf einer ähnlichen Reise wie diese in eine Dorf-
schule trat und das schöne Zinzendorfsche Lied in
jener rhythmischen Form singen hörte, darin Sie's
eben vernommen haben. In dieser Form wirkte das
längst Bekannte wie neu auf mich und riß mich nicht
nur fort durch seine Kraft und Innigkeit, sondern
veranlaßte mich auch, es nach meiner Rückkehr in
einem mir zu Gebote stehenden Fachblatte zu veröf-
fentlichen. Ich weiß, daß es seitdem vielfach Eingang
gefunden hat; hier aber trat es mir zum ersten Male
wieder lebendig entgegen und bestätigte mir die
Lehre: Man streue nur gute Körner aus und sorge
nicht, was aus ihnen wird; irgendwo gehen sie auf, und wenn es im stillsten Winkel des Spreewalds wä-
re.«
Die Sonne neigte sich und mahnte zum Aufbruch.
Noch reizende Partien kamen, aber der Höhepunkt
des Festes lag hinter uns.
In Dorf Leipe, das wir auf unserem Rückweg passier-
ten, trafen wir hauptstädtische Gesellschaft, die der
wachsende Schönheitsruf des Spreewaldes herbeige-
lockt hatte. Wir schlossen uns ihnen an, und Boot an
Boot ging es nunmehr wieder auf Lübbenau zu. Wort
und Lachen klang herüber und hinüber, und ein kal-
ter Grog, der, als die Sonne nieder war, aus Rum
und Spreewaldwasser gebraut wurde, hielt die Kühle
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des Abends von uns fern. Aber nicht auf lange; Plaid
und Paletot forderten endlich ihr Recht, und lautlos
glitten die beiden Boote nebeneinander her. In die
Stille hinein klang nichts mehr als der taktmäßige
Ruck der Ruder und das leise Plätschern des Was-
sers.
Es schlug zehn von dem am Abendhimmel aufdun-
kelnden Turm, als wir im Schatten der Lynarschen
Parkbäume wieder anlegten. Der »Braune Hirsch«
nahm uns eine Viertelstunde später in seine gastli-
chen Betten auf, Bootführer Birkig aber ging seinem
Dienste nach, um mit Horn und Spieß für Lübbenau
und seine Spreewaldgäste zu wachen.
Zwischen Spreewald und
Wendischer Spree
Eine Osterfahrt in das Land
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