Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Weges zieht, das zieht dann auf dieser Was-
serstraße hinab und hinauf. Selbst die reichen Her-
den dieser Gegenden wirbeln keinen Staub auf, son-
dern werden ins Boot getrieben und gelangen in ihm
von Stall zu Stall oder von Wiese zu Wiese. Der tägli-
che Verkehr bewegt sich auf diesem endlosen Fluß-
netz und wird nur momentan unterbrochen, wenn
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auf blumengeschmücktem Kahn, Musik vorauf, die
Braut zur Kirche fährt oder wenn still und einsam,
von Leidtragenden in zehn oder zwanzig Kähnen ge-
folgt, ein schwarzverhangenes Boot stromabwärts
gleitet.
Einzelne Häuser werden sichtbar; wir haben Lehde,
das erste Spreewaldsdorf, erreicht. Es ist die Lagu-
nenstadt in Taschenformat, ein Venedig, wie es vor
1500 Jahren gewesen sein mag, als die ersten Fi-
scherfamilien auf seinen Sumpfeilanden Schutz such-
ten. Man kann nichts Lieblicheres sehn als dieses
Lehde, das aus ebenso vielen Inseln besteht, als es
Häuser hat. Die Spree bildet die große Dorfstraße,
darin schmalere Gassen von links und rechts her
einmünden. Wo sonst Heckenzäune sich ziehn, um
die Grenzen eines Grundstückes zu markieren, zie-
hen sich hier vielgestaltige Kanäle, die Höfe selbst
aber sind in ihrer Grundanlage meistens gleich. Dicht
an der Spreestraße steht das Wohnhaus, ziemlich
nahe daran die Stallgebäude, während klafterweis
aufgeschichtetes Erlenholz als schützender Kreis um
das Inselchen herläuft. Obstbäume und Düngerhau-
fen, Blumenbeete und Fischkasten teilen sich im üb-
rigen in das Terrain und geben eine Fülle der rei-
zendsten Bilder. Das Wohnhaus ist jederzeit ein
Blockhaus mit kleinen Fenstern und einer tüchtigen
Schilfdachkappe; das ist das Wesentliche; seine
Schönheit aber besteht in seiner reichen und maleri-
schen Einfassung von Blatt und Blüte: Kürbis rankt
sich auf, und Geißblatt und Convolvulus schlingen
sich mit allen Farben hindurch. Endlich zwischen
Haus und Ufer breitet sich ein Grasplatz aus, an den
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sich ein Brückchen oder ein Holzsteg schließt, und
um ihn herum gruppieren sich die Kähne, kleiner und
größer, immer aber dienstbereit, sei es um bei Tag
einen Heuschober in den Stall zu schaffen oder am
Abend einem Liebespaare bei seinem Stelldichein
behilflich zu sein.
3. »Die Leber ist von einem Hecht«
Die letzten Häuser von Lehde liegen hinter uns, und
wieder dehnen sich Wiesen zu beiden Seiten aus, nur
hier und da durch Erlengruppen oder ein paar ein-
zelnstehende Eichen unterbrochen. In südöstlicher
Richtung geht es stroman, eine Biegung noch und
jetzt eine zweite, bis sich unser Flachkahn durch al-
lerlei Tang und Kraut in einen schmalen und gradlini-
gen Kanal einschiebt, der die Verbindungsstraße zwi-
schen den zwei Hauptarmen der Spree bildet.
Dieser Kanal, eine halbe Meile lang, zählt mit zu den
besonderen Schönheiten des Spreewaldes. Im all-
gemeinen wird sich sagen lassen, daß eine mit dem
Lineal gezogene Linie landschaftlich ohne Reiz sei,
jede Regel aber hat ihre Ausnahme (gewißlich hat sie
sie hier), und ein Vergleich mag diese Wasserstraße
beschreiben. Jeder kennt die langgestreckten Laub-
gänge, die sich unter dem Namen »Poetensteige« in
allen altfranzösischen Parkanlagen vorfinden. Ein
solcher Poetensteig ist nun der Kanal, der eben jetzt
in seiner ganzen Länge vor uns liegt, und, ein niedri-
ges und dicht gewölbtes Laubdach über uns, so glei-
ten wir im Boot die Straße hinauf, die, nach Art einer
Tute sich zuspitzend, an ihrem äußersten Ausgang
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ein phantastisch verkleinertes und nur noch halb
erkennbares Pflanzengewirre zeigt. Alles in einem
wunderbaren Licht.
Endlich erreichen wir diesen Ausgang und fahren in
abermaliger scharfer Biegung in einen breiten, aber
überall mit Schlangenkraut überwachsenen Flußarm
ein, der uns in weniger als einer Stunde nach der
»Eiche«, einem mitten im Spreewald gelegenen und
von der Frau Schenker in gutem Ansehen erhaltenen
Wirtshause, führt. Dasselbe zeigt den echten Spree-
waldsstil und unterscheidet sich in nichts von den
wendischen Blockhäusern des Dorfes Lehde. Nichts-
destoweniger scheinen statt Sorben oder Wenden
eingewanderte Sachsen von Anfang an an dieser
Stelle heimisch gewesen zu sein, denn nicht nur, daß
die fast allzu germanisch klingenden »Schenkers« in
dritter Generation schon in diesem Hause haushal-
ten, auch ein alter, mühsam zu entziffernder Spruch
über dem Eingange läßt über den deutschen
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