Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Meinungen nicht
leicht auseinandergehen.
Wir halten nun vor dem geräumigen Gasthofe »Zum
braunen Hirsch«, darin das Amt eines Kellners noch
ausschließlich durch eine Spreewaldsschönheit ver-
waltet wird, und nachdem wir Toilette gemacht und
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einen Imbiß genommen haben, brechen wir auf, um
keine der spärlich zugemessenen Stunden zu verlie-
ren. Ein Leichenzug kommt über den Platz, und acht
Träger tragen den Sarg, über den eine schwarze, tief
herabhängende Sammetdecke gebreitet ist, aus dem
Kirchenportal aber, daran der Zug eben vorüber-
zieht, erklingt Orgel und Gesang, und wir treten ein,
um eine wendische Gemeinde, lauter Spreewalds leute, versammelt zu sehen.
Es bot sich uns ein guter Übersichtsplatz; Männer
und Frauen saßen getrennt, und nur die Frauen, so-
viel ich wahrnehmen konnte, trugen noch ihr speziel-
les Spreewaldkostüm. In jedem Einzelpunkte das
Spezielle darin nachzuweisen ist eine Aufgabe, der
ich mich nicht gewachsen fühle. Der kurze faltenrei-
che Friesrock, das knappe Mieder, das Busentuch,
die Schnallenschuhe, selbst die bunten seidenen
Bänder, die, mit großem Luxus gewählt, über die
Brust fallen, sind allerorten in wenigstens ähnlicher
Weise vorkommende Dinge, wogegen mir der Kopf-
putz und die Halskrause von dem sonst Herkömmli-
chen abweichend erschienen. Die Halskrause wird
nicht allgemein getragen; wo sie sich findet, erinnert
sie lebhaft an die getollten Ringkragen auf alten Pas-
torenbildern: steife Jabots, die dem, der sie trägt,
immer etwas von dem Ansehen eines kollernden
Truthahns geben. Allgemein aber ist der spreewäld-
lerische Kopfputz, und ich versuche seine Beschrei-
bung. Eine zugeschrägte Papier- oder Papphülse bil-
det das Gestell, darüber legen sich Tüll und Gaze,
Kanten und Bänder und stellen eine Art Spitzhaube
her. Ist die Trägerin eine Jungfrau, so schließt die
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Kopfbekleidung hiermit ab, ist sie dagegen verheira-
tet, so schlingt sich noch ein Kopftuch um die Haube
herum und verdeckt sie, je nach Neigung, halb oder
ganz. Diese Kopftücher sind ebenso von verschie-
denster Farbe wie von verschiedenstem Wert. Junge,
reiche Frauen schienen schwarze Seide zu bevorzu-
gen, während sich ärmere und ältere mit krapprotem
Zitz und selbst mit ockerfarbenem Kattun begnüg-
ten.
Die wendische Predigt entzieht sich unserer Contrôle,
das Schluchzen aber, das laut wird, ist wenigstens
ein Beweis für die gute Praxis des Geistlichen. Er
steht zudem in der Liebe seiner Gemeinde, und wo
diese Liebe waltet, ist auch unschwer das Wort ge-
funden, das eine Mutter, die den Sohn, oder eine
Witwe, die den Mann begrub, zu den ehrlichsten Trä-
nen hinreißt.
Und nun schweigt die Predigt, und eine kurze Pause
tritt ein, während welcher der Geistliche langsam
und sorglich in seinen Papieren blättert. Endlich hat
er beisammen, was er braucht und beginnt nun die
Aufgebote, die Geburts- und Todesanzeigen zu lesen,
alles in deutscher Sprache. Bemerkenswert genug.
Die Predigt, die mehr dem Ideale dient, durfte noch
wendisch sein; aber sowie sich's um ausschließlich
praktische Dinge zu handeln beginnt, sowie festge-
stellt werden soll, was im Spreewalde lebt und stirbt,
wer darin heiratet und getauft wird, so geht es mit
dem Wendischen nicht länger. Der Staat, der bloß
mit deutschem Ohre hört und nicht Zeit hat, in aller
Eil auch noch Wendisch zu lernen, tritt mit der nüch-
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ternsten Geschäftsmiene dazwischen und verlangt
deutsches Aufgebot und deutsche Taufscheine.
Wer wollt ihm das Recht dazu bestreiten?
Und nun ist der Gottesdienst aus, und steif und
stattlich gehen die Männer und Frauen an uns vor-
über. Ihre Köpfe sind charaktervoll, aber nicht
hübsch; ihre Haltung voll Würde. Wir warteten die
letzten ab und kehrten dann erst in unsern Gasthof
zurück, wo wir uns eine halbe Stunde später durch
Kantor Klingestein – eine Spreewaldsautorität, an die
wir von Berlin her empfohlen waren – begrüßt sahen.
Er übernahm unsere Führung.
1. Über Meerrettich produktion und Meerrettich-verkauf stehe hier noch das folgende. Der
Herbst ist die Zeit der Lübbenauer Meerret-
tichmärkte. Jeden Sonnabend, solange das
Wasser eisfrei bleibt, bringen die Spreewäld-
ler, namentlich die von Burg, ihre Ware zu
Markt, und es bedecken dann 200 bis 300 mit
Meerrettich beladene Kähne den Ausladeplatz
an der Spree. Groß- und Kleinhändler aus vie-
len Städten und
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