Wanderungen durch die Mark Brandenburg
zuschickte, traf noch seine seifenschau-
mene Hälfte. Weiter. Endlich mündeten wir auf einen
lindenumstellten Platz, der die »Freiheit« hieß. Wir
nahmen es als selbstverständlich hin. Warum sollte
hier nicht Freiheit sein?
Der Eindruck des Öden, den die ganze Stadt macht,
an dieser Stelle steigert er sich, denn hier war einmal Leben. Unter den Fenstern des ersten Stockes
hin ziehen sich lange Wirtshausschilder: »Stadt Hal-
le«, »Stadt Leipzig«, die sich fast wie Grabschriften
lesen über einer Zeit, die nicht mehr ist. Hier führte
vor fünfzig oder hundert Jahren die große Straße von
Sachsen vorüber, hier war ein Hauptzollamt, und
Saarmund hatte damals eine Bedeutung etwa wie
Wittenberge heut oder irgend sonst ein Platz, an
dem der Koffer untersucht und die Sprache des
deutschen Biedermannes in der Maut- und Zollnuan-
ce gesprochen wird. Das ist nun alles dahin. Die ge-
schlossenen Fenster zeigen nichts mehr als lange
Rouleaux, deren in der Schräge schwebende Land-
schaften auf ein völlig gestörtes Roll- und Räderwerk
deuten; alle Krippen stehen leer, und müde vom
Warten, haben sie sich an die Wand gelehnt. Die
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Hühner picken drum herum. Wo sie's hernehmen,
Gott weiß.
Ein eignes Geschick ist um gewisse Städte wie um
gewisse Menschen her. Sie sind anmutig, alles
scheint für sie zu sprechen, und sie können es
nichtsdestoweniger zu nichts bringen. So Saarmund.
Einer der vielen Orte, die nicht leben und nicht ster-
ben können und nur dazu da sind, im Herzen eines
Vorüberfahrenden ein sentimentales Gefühl zu we-
cken.
An einem der Prellsteine von »Stadt Leipzig«, wo der
Weg nach rechts hin abbiegt, stand ein Mann in mitt-
leren Jahren, mit einem guten, zuverlässigen Ge-
sicht. Seine Kappe hatte den Schnitt einer alten
Landwehrmütze, sein Rock aber einen Stehkragen
von dunkler Farbe. Eine Art Nachtwächterblau. Mir
lagen immer noch die »Nutheburgen« im Kopf, nach
denen ich meine Suche nicht ohne weiteres aufgeben
wollte. Das ist dein Mann, dacht ich, und ließ halten.
»Sind Sie von hier?«
»Ja.«
»Das ist schön. Da kennen Sie gewiß die Nuthebur-
gen?«
Der Ausdruck seines Gesichts ließ keinen Zweifel
darüber, daß dieses Wort mit dem balladesken Dop-
pel-U zum ersten Male sein Ohr traf. In seiner Ant-
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wort geriet er vom Hundertsten ins Tausendste, stol-
perte zwischen allerhand Lokalbezeichnungen wie
Burgwall und Nuthe-Brücke hin und her und erzählte
mir Dinge, die, wie gewöhnlich, auf alles mögliche
Rücksicht nahmen, nur nicht auf den Gegenstand
meiner Sehnsucht. Ich sah bald, daß der älteren
märkisch-wendischen Heimatskunde hier keine Quel-le floß, und war denn auch rasch entschlossen, durch
eine Diversion jeder weiteren Verwirrung vorzubeu-
gen.
»Ist sonst nichts da, das sich verlohnte?«
»Nichts als der Galgenberg... Da haben Sie die beste
Aussicht: das ganze Nuthe-Tal. Links Potsdam und
rechts Trebbin. Es soll auch ein Schatz...«
»Gut, gut.« Ich grüßte, gab dem Kutscher einen lei-
sen Schlag, und im nächsten Momente ging es vom
Straßendamm hinunter in den mahlenden Sand hin-
ein.
Eine kurze Strecke Weges, da stieg der Berg mit
dem ominösen Namen vor uns auf. Es war ein heißer
Tag und Mittagsstunde; wir hielten deshalb und stie-
gen aus. Die Sonne fiel glühend auf den Abhang, den
wir hinauf mußten. Vor uns weideten ein paar mage-
re Schafe, die sich ihrer Magerkeit an dieser Stelle nicht zu schämen hatten; nur halbverbranntes,
moosartig kurzes Gras zog sich über den Sand hin,
und nichts grünte als die Wolfsmilch. Endlich oben.
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Es lohnte sich schon. Wie um dem Missetäter das
Scheiden doppelt schwer zu machen, stellte das Mit-
telalter seinen Dreibaum immer auf die höchsten und
schönsten Punkte.
Und wieder stand ein Dreibaum dort oben vor uns,
aber freilich das Kind einer anderen Zeit: ein Ver-
messungsinstrument spreizte seine drei mageren
Beine.
Das helle Licht hinderte den Blick; nur mitunter kam
eine leise Trübung, und das Auge konnt alsdann die
Landschaft umfassen. Zu Füßen Saarmund mit sei-
nen roten Dächern und rotem Turm; dahinter die
Wiesen und die Nuthe; jenseits aber die stillen Dör-
fer des Teltow und diesseits die stilleren Berge der
Zauche.
Wer nach uns an diese Stelle tritt, der freue sich des
Bildes und der allgemeinen Vorstellung: an diesem
Wasserlauf entlang lagen also die Nutheburgen ! Und er nehme dies Bild und diese
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