Wanderungen II. Das Oderland.
und sich des Glückes zu freuen, das sie durch Opfer und Guttat geschaffen, vergeuden sie ihre beste Kraft in der Beschäftigung mit ihren Plänen, im Kampf mit Phantomen. Marwitz hab ich dies noch nie gesagt, weil ich ihn zu sehr liebe und es zu persönlich würde .«
So klagte Rahel über ihren »liebsten Freund« in einer Zeit, wo täglicher Verkehr und rückhaltloses Vertrauen ihr die beste Gelegenheit gab, einen Einblick in die Vorgänge seines Herzens zu gewinnen.
»Er war des Lebens früh überdrüssig und durchaus ermüdet vom täglichen Einerlei, wenn das Gewaltigste sich nicht von Tage zu Tage jagte.« So beschreibt ihn sein älterer Bruder. Er war ruhelos, unbefriedigt, unglücklich. Aber wir würden ihm Unrecht tun, wenn wir dieses Unbefriedigtsein, diesen Lebensüberdruß, Erscheinungen, die mitunter an die krankhaften Stimmungen Heinrich von Kleists erinnern, ausschließlich auf Rechnung eines überreizten Gemütes setzen wollten. Er war allerdings unstet und ruhelos, weil er einem »Phantom« nachjagte, das sich nicht erreichen und erringen ließ, aber er litt auch in aller Wahrheit und Wirklichkeit unter der Wucht schwerer Schläge. Wenn sich eigene Schuld mit einmischte, um so schlimmer. Er hatte ein Recht, ernster dreinzuschauen als mancher andere. Die Schmach des Vaterlandes, die Eisenhand des Unterdrückers, das alles waren sehr wirkliche Dinge, die damals manches Herz mit Schwermut oder Fanatismus erfüllten. Vor Marwitz aber stand noch ein anderes : sein Traum brachte ihm die Gestalt des polternden, zornroten und dann so still und blaß gewordenen Wirts, und wenn die Gestalt verschwand, so zog an ihrer Statt das Bild einer schönen Frau herauf, zu der er sich mit glühender, immer wachsender Leidenschaft hingezogen fühlte. Der Tag ist noch nicht da, über dieses Verhältnis ausführlicher zu sprechen; vielleicht wird die Pietät gegen einen unserer gefeiertsten Namen es für immer verbieten. Zorn und Liebe, Gewissensangst und Leidenschaft rangen auf und ab in Marwitzens Herzen, und es hätte des heißen Verlangens nach Ruhm und Auszeichnung, nach einem unbestimmten Höchsten nicht bedurft um jene Rastlosigkeit zu schaffen, die zugleich ein Verlangen nach Ruhe war.
Im Mai 1811 ging Marwitz auf kurze Zeit nach Friedersdorf. Die Veranlassung dazu war nicht angetan, ihm die Heiterkeit zurückzugeben, deren er so sehr bedurfte. Das Eintreten des älteren Bruders für das ständische Recht hatte zu seiner Verurteilung geführt, und während er nach Spandau ging, um daselbst seine Haft anzutreten, trat der jüngere Bruder für ihn ein, um, wie fünf Jahre früher, die Verwaltung des Guts zu übernehmen. Dieser nur kurze Aufenthalt in Friedersdorf scheint eine Krisis für ihn gewesen zu sein. Während ihn die zwischen ihm und der Rahel in dieser Zeit gewechselten Briefe zunächst noch auf einem Höhepunkte der Schwermut und Ratlosigkeit zeigen, klärt sich gegen das Ende hin alles auf. Das Gewitter scheint vorüber, und wir blicken wieder in klaren Himmel. Einzelne Briefbruchstücke aus jener Zeit mögen diesen Übergang vom Trübsinn bis zur neu erwachenden Hoffnung zeigen.
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Schon im Sommer 1808 (also wahrscheinlich noch in Memel) war ihm ein ähnlicher Antrag geworden. Er hatte ihn aber mit dem Bemerken abgelehnt, daß er zuvor mehr sehen und lernen wolle. Nur in Zeiten wie die damaligen, wo nichts so niedrig stand als das Anciennitätsprinzip, waren solche Dinge möglich. [Image: Zurück]
Anton Eberhard Konstantin von der Marwitz ward am 2. September 1790 zu Berlin geboren. Er befand sich als Schüler, kaum sechzehn Jahre alt, in der École militaire, als die Franzosen ihren Einzug in Berlin hielten. Der Gouverneur der Anstalt schoß sich tot, der Vizegouverneur verlor den Kopf und überantwortete sich und seine Anstalt der Gnade der Sieger. Diese schwankten, wie sie sich den halberwachsenen Schülern dieses Militärinstituts gegenüber verhalten sollten, zogen aber schließlich das Sichere vor und machten sie zu Gefangenen. Unter diesen war auch Eberhard von der Marwitz. Er und ein befreundeter Mitschüler verabredeten Flucht und brachen zusammen auf. Vorher schon hatten sie sich ein Pferd zu verschaffen gewußt und passierten glücklich das Tor. Ohne alle Rast setzten sie ihren Weg fort, immer abwechselnd der eine zu Fuß, der andere zu Pferde, so daß sie schon nach vierundzwanzig Stunden die zwanzig Meilen bis Lenzen an der Elbe und über die mecklenburgische Grenze zurückgelegt
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