Wanderungen II. Das Oderland.
einem beständigen Gegensatze von Sparsamkeit und Verschwendung, von Kirchlichkeit und Aberglauben, von Ehrbarkeit und Sittenverderbnis. Der Bauer schreitet im langen Rock, ein paar weiße Handschuh an den Händen, langsam und gravitätisch nach der Kirche; aber er sitzt am Abend oder Nachmittag desselben Tages (einige beginnen gleich nach der Kirche) im ›Gasthofe‹ des Dorfes und vergnügt sich bei Spiel und Wein. Die Würfel rollen über das Brett, der sogenannte ›Tempel‹ wird mit Kreide auf den Tisch gemalt, alle Arten von Hasardspiel lösen sich untereinander ab, und um hundert Taler ärmer oder reicher, wüst im Kopfe, geht es weit nach Mitternacht nach Haus.
Und ähnlich in den Haushaltungen; krasser Luxus und das völlig mangelnde Verständnis für das, was wohltut und gefällt, laufen nebeneinanderher. In dem Wohnzimmer steht ein großes Sofa mit blauseidenem Überzug, aber der Überzug ist zerrissen und eingefettet. Der Kupferstich an der Wand hängt völlig schief, und kein Auge sieht es. Das Glas des andern Bildes ist mitten durchgesprungen, und niemand denkt daran, es zu ersetzen. Die eine Tochter des Hauses sitzt am Fenster und näht, aber in dem Zimmer, das, ebensogut wie ein Sofa und Fortepiano, doch auch einen Nähtisch haben könnte, fehlt dieser, und auf dem Fensterbrette steht nichts als ein Zigarrenkasten, der als Herberge für Knöpfe und Knäuel, für Lappen und Flicken dient. Nun geht es zu Tisch. Alles reichlich, aber auch nichts mehr. Die Magd mit klappernden Holzpantinen setzt die Speisen auf, das Stück Fleisch liegt unschön zerhackt auf der Schüssel; die Teller sind verschieden an Stoff und Form, die Messer und Gabeln sind abgewaschen, aber nicht blank geputzt; von Tischgebet keine Rede. So nimmt man Platz, und schweigend, unschön, ohne Dank beginnt und endet die Mahlzeit.
So ist es alltags. Einzelnen, für schweres Geld erstandenen Glanz- und Prachtstücken wird die Pflicht des Repräsentierens auferlegt; die Personen aber entschlagen sich desselben. Denn es ist unbequem. Das Ganze, um es noch einmal zu sagen, ein bunter Widerstreit von herrschaftlicher Prätension und bäuerlicher Gewohnheit.
Die Festtage des Hauses ändern das Bild, aber sie bessern es nicht. Ich habe hier Taufen und Hochzeiten beigewohnt, die mir unvergeßlich bleiben werden. Wirt und Gäste wetteifern in Staat. Wagen auf Wagen rollt vor: Chaisen mit niedergeschlagenem Verdeck; die wohlgenährten Pferde tragen mit Silber beschlagenes Geschirr, der Kutscher ist in Livrée, und die Damen, die aussteigen, sind in Samt und Seide. Musici spielen; die Tische brechen unter der Last der Speisen; die Champagnerpfropfen knallen, und der Flur ist mit Zucker bestreut, um die Fliegen von den Tafelgästen möglichst fernzuhalten. Dann wildes Juchen und Lichter, halberstickt in Tabaksqualm. Spiel und Tanz und Lärm und ein Faustschlag auf den Tisch machen den Schluß des Festes. Bauernhochzeiten zeichnen sich freilich überall durch eine gewisse Reichtumsentfaltung aus, aber diese selbstbewußte, zur Schau getragene Opulenz hält sich an andern Orten innerhalb gewisser bäuerlicher Traditionen. Hier sind diese Traditionen durchbrochen, und jeder versucht es, gleichsam auf eigne Hand, seiner Eitelkeit, und meist nur dieser, ein Genüge zu tun.
Auch Gutem und Tüchtigem bin ich in diesen Dörfern vielfach begegnet; aber zumeist doch jener Tüchtigkeit nur, die aus einem starken Egoismus und dem Instinkte des Vorteils hervorgeht. Die Wurzeln aller Kräfte, die hier tätig sind, sind Selbstsucht und Selbstbewußtsein . Die Zeit soll noch erst kommen, wo die hohen Kräfte des Lebens hier lebendig werden.«
Seit jenem Briefe, der die damaligen (1838) Sittenzustände des Bruchs eher zu mild als zu streng schildert, sind mehr als vierzig Jahre vergangen, und dieser Zeitraum hat bis auf einen gewissen Punkt die Wünsche erfüllt, mit denen der Brief schließt. Es ist besser geworden. Der bloße Geld- und Bauernstolz hat dem Gefühl von den Aufgaben des Reichtums Platz gemacht, und an die Stelle jener Selbstsucht, die nur an sich und den engsten Kreis denkt, ist der wenigstens erwachende Sinn für das Allgemeine getreten. Es dämmert eine Vorstellung in den Gemütern von der Gegenseitigkeit der Pflichten, eine Ahnung davon, daß die blanken Taler einen andern Zweck haben, als bei dem Nachbar Geizhals im Kasten zu liegen oder vom Bruder Verschwender bei Vingt-un und »Blüchern« vergeudet zu werden. Die üblen Folgen des
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