Wanderungen II. Das Oderland.
fünfundvierzig, zwanzig und ein größerer Teil zehn Morgen Ackers von dem entwässerten Boden, bei welcher Verteilung man, wie billig, auf die Stärke der Familie und die Größe des Vermögens Rücksicht nahm. Jegliche Religionsausübung war frei. Der König ließ sechs neue Kirchen bauen, setzte vier Prediger, zwei reformierte und zwei lutherische, ein und gab jedem Dorf eine Schule. Der Unterricht war frei; Pfarre und Schule erhielten Ländereien. Noch andere Vorteile wurden den Ansiedlern gewährt. Allen denen, die sich niederließen, ward eine vollständige Freiheit von allen Lasten auf fünfzehn Jahre gewährt, wie sie denn auch – kein geringes Vorrecht in jenen Tagen – für ihre Person samt Kind und Kindeskind von aller Werbung frei waren . Dem König, wie wohlbekannt, lag vor allem daran, seine dünn besäeten Staaten reicher bevölkert zu sehen. Nach der Verteilung der Ländereien blieben ihm noch 20 000 Morgen, in betreff deren ein benachbarter Gutsbesitzer dem Könige bemerkte, »daß sich vorzügliche Domainen-Vorwerke daraus würden bilden lassen«. Der König sah den Ratgeber durchdringenden Blickes an und erwiderte scharf: »Wär ich, was Er ist, so würd ich auch so denken. Da ich aber König bin, so muß ich Untertanen haben.« Er gab auch diese 20 000 Morgen noch fort.
Die Kolonisten waren nun angesetzt, und die Urbarmachung begann. Das nächste, was der Trockenlegung folgte, war die Ausrodung . Diese Ausrodung führte zu seltsamen Szenen, wie sie seitdem, wenigstens in unserer Provinz, wohl nicht wieder beobachtet worden sind. Die ausgerodeten Bäume und Sträucher – da keine Gelegenheit gegeben war, die ganze Fülle dieses Holzreichtums zu verkaufen oder wirtschaftlich zu verwerten – wurden zu mächtigen Haufen aufgeschichtet und endlich, nachdem sie völlig ausgetrocknet waren, angezündet und verbrannt. Aber das Austrocknen dieser Massen dauerte oft monatelang, und so kam es, daß dieselben eine willkommene Zufluchtsstätte für all die Tiere wurden, die bei der Ausrodung aus ihren Schlupfwinkeln aufgescheucht worden waren. In diesen Holz- und Strauchhaufen steckten nun diese Tiere drin, bis der Tag des Anzündens kam. Dann, wenn Qualm und Feuer aufschlugen, begann es, bei hellem Tagesschein, in dem Strauchhaufen lebendig zu werden, und nach allen Seiten hin jagten nun die geängstigten Tiere, wilde Katzen, Iltisse, Marder, Füchse und Wölfe, über das Feld. Ebenso wurde ein Vernichtungskrieg gegen Wildbret und Geflügel geführt, und jeder Haushalt hatte Überfluß an Hirschen, Rehen, Hasen, Sumpfhühnern und wilden Enten. Hasen gab es so viel, daß die Knechte, wenn sie gemietet wurden, sich ausmachten, nicht öfter als zweimal wöchentlich Hasenbraten zu kriegen .
Der Boden im Bruch war ein schönes, fettes Erdreich, mit vielem Humus, der sich seit Jahrhunderten aus dem Schlamme der Oder und aus der Verwesung vegetabilischer Substanzen erzeugt hatte. Dies erleichterte die Bewirtschaftung; auch diejenigen Kolonisten, die nicht als Ackersleute ins Land gekommen waren, fanden sich leicht in die neue Arbeit und Lebensweise hinein, die, ob ernster oder leichter betrieben, jedem seinen Erfolg sicherte. Man streute aus und war der Ernte gewiß. Es wuchs ihnen zu. Alles wurde reich über Nacht.
Dieser Reichtum war ein Segen, aber er war zum großen Teil so mühelos errungen worden, daß er vielfach in Unsegen umschlug. Man war eben nur reich geworden; Bildung, Gesittung hatten nicht Schritt gehalten mit dem rasch wachsenden Vermögen, und so entstanden wunderliche Verhältnisse, übermütig-sittenlose Zustände, deren erste Anfänge noch der große König, der »diese Provinz im Frieden erobert hatte«, miterlebte und die bis in die Mitte dieses Jahrhunderts hinein fortgedauert haben. Ein Brief aus dem Jahre 1838 schildert die Zustände des damaligen Oderbruchs wie folgt:
»Die Verhältnisse, die ich hier vorgefunden, sind die, durch alle Jahrhunderte hin immer wiederkehrenden, einer Viertel- und Halbkultur, Zustände, wie sie zu jeder Zeit und an jedem Orte sich einstellen, wo in noch völlig rohe und barbarische Gemeinschaften, ohne Zutun, ohne Mitwirkung, ohne rechte Teilnahme daran, ein Stück Kultur von außen her hineingetragen wird. Das Wesen dieser Art von Existenzen ist die Disharmonie, der Mißklang, der Widerstreit. Durch gewisse Bildungsmanieren bricht immer wieder die alte Roheit durch, und im Einklange hiermit begegnet man auch in diesen reichen Oderbruchdörfern
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