Wanderungen II. Das Oderland.
wirklich auf. Er ging zunächst nach Wiesbaden, dann nach Frankfurt am Main, wo er bei der 1. Brigade des Yorckschen Corps eintrat und als diensttuender Adjutant zum General Pirch II. kommandiert wurde. Hier war er endlich voll an seinem Platz . Die Idee eines großen Kampfes war nirgends lebendiger ausgeprägt als im Yorckschen Corps, und ein Feuergeist, wie Marwitz, mußte sich da am heimischsten fühlen, wo im geringsten Landwehrmann ein Teil jener treibenden Kraft, jenes Blücherschen Geistes zu finden war, ohne welchen jener schöne Kampf nie und nimmer siegreich hinausgeführt worden wäre.
Am 1. Januar ging es über den Rhein. Die Gefechte bei Brienne und La Rothière eröffneten den Kampf auf französischem Boden; der Sieg schien bei den Fahnen der Verbündeten bleiben zu sollen. Da kamen die Unglückstage von Champaubert und Montmirail. Der Kaiser warf sich auf das russische Corps unter General Sacken und war im Begriff, es zu vernichten, als Sacken selbst, der leichtsinnig dieses Unheil heraufbeschworen hatte, an das zunächststehende Yorcksche Corps die dringende Bitte stellte, den Feind in der linken Flanke zu fassen. An Sieg war nicht zu denken, aber die Rettung der Russen mußte wenigstens versucht werden. Die erste (Pirchsche) Brigade, bei der Marwitz stand, erhielt Befehl zum Angriff. General Pirch selbst setzte sich an die Spitze der ost- und westpreußischen Grenadiere, zwei Landwehrbataillone folgten als Soutien. So drang man im Sturmschritt gegen das Gehölz von Bailly vor. Aber der Angriff scheiterte. Die Führer der Bataillone fielen. General Pirch wurde verwundet, und Marwitz sank tödlich getroffen.
Es scheint, daß eine Flintenkugel ihn in die Schläfe traf. Sein Tod – »der Tod unseres hoffnungsvollen und sehr geliebten Marwitz«, so schreibt Schack in seinem Tagebuche – galt für ein Ereignis selbst in jenen Tagen, wo jede Stunde die Besten als Opfer forderte. Seine Leiche wurde nicht gefunden, und dieser Umstand gab Veranlassung, daß man geraume Zeit hindurch glaubte, er sei abermals, schwer verwundet, dem Feinde in die Hände gefallen. Auch Rahel teilte diesen Glauben. Noch am 26. April schrieb sie von Prag aus: »Nun fehlt nur noch Marwitz. Aber ich hoffe. Der kommt wieder, ganz durchlöchert an Körper und Wäsche.« Aber er kam nicht. Er lag, eingescharrt mit hundert andern, auf dem Sandplateau von Montmirail. »Jeder seiner Freunde fühlte seinen Tod nach Maßgabe des eigenen Wertes «, so schrieb Rahel im Juni, als sein Tod nicht länger zweifelhaft sein konnte, und Marwitz' älterer Bruder schrieb die Worte nieder: »Die Welt erlitt an ihm einen großen Verlust. Er war ein außerordentlicher Mensch im Wissen wie im Handeln. Er würde das Höchste geleistet haben, wenn er erst zur inneren Beruhigung gelangt wäre .«
Vielleicht war er dieser »inneren Beruhigung« näher, als der Bruder vermutete. Die Unruhe, die Kämpfe, die Leidenschaften, die ihn bis zu jener vorgeschilderten Epoche (im Sommer 1811) verzehrt haben mochten, hatten seitdem ruhigeren Anschauungen Platz gemacht, Anschauungen, die freilich dem älteren Bruder zu großem Teil ein Geheimnis geblieben waren. Sie sahen sich damals zu selten, als daß es sich für den letztren ermöglicht hätte, solche Wandlungen zu beobachten. Alexander von der Marwitz hatte bis zu jener Zeit ganz und gar den genialischen Leuten unserer politischen Sturm-und-Drang-Periode angehört; aber gegen das krankhafte Übermaß in Hoffen und Wollen war endlich seitens seiner angeborenen guten und gesunden Natur eine Reaktion eingetreten, und die Handelweise seiner letzten Lebensjahre würde uns darüber aufklären können, wenn es nicht direkte Worte täten. »Fernab sind mir jetzt alle Träume von Heldengröße und äußerer Bedeutsamkeit. Führt mich das Schicksal dahin, wo ich in großen Kreisen zu wirken habe, so will ich auch das können, aber meine Hoffnungen, meine Plane sind nicht länger darauf gestellt.« So hatte er an Rahel geschrieben, und diese schon oben zitierten Worte bezeichneten in Wahrheit einen Wendepunkt in seinem Leben, den ersten Moment der Genesung. Der ältere Bruder kannte weder diese Worte noch die Wandlung des Gemüts, der sie Ausdruck liehen. Marwitz, als ihn der Tod ereilte, hatte den Hang und Drang nach dem Unerreichbaren aufgegeben, er stand nicht mehr kritisch und ironisch außerhalb des Kreises, sondern mitschaffend und mitgestaltend innerhalb desselben. Was er wollte, war ein Erreichbares geworden.
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