Wandlung
laufen. »Fettes Miststück, fette Sau, Kuh«, die Welt war für sie eine Kampfzone.
Es erforderte den Mut einer Kämpferin, überhaupt nur aus der Haustür zu treten.
Die alten Samurai bezeichneten sich selbst als Tote; vor jedem Kampf banden sie ihr Haar zu einem Pferdeschwanz, um es ihren Feinden möglichst einfach zu machen, ihren abgetrennten Kopf daran als Trophäe in den Himmel zu recken. Ein Krieger ohne Respekt für sein eigenes Leben, der sich von unbekümmerter Raserei getrieben in die Schlacht stürzt, war unbesiegbar. Negativer Mut, wer sein Leben abgeschrieben hat, der hat nichts mehr zu befürchten und wird unbesiegbar.
Der Schacht führte sie immer tiefer unter die Erde. Sie spürte einen Luftzug auf dem Gesicht, vielleicht gab es ja noch andere Wege zurück an die Oberfläche, Luftschächte und Notausgänge. Ghost hatte berichtet, dass es in der Nähe ein altes Flugfeld gebe, auf dem eine Antonow vor sich hin roste. Vielleicht gab es ja einen Verbindungsgang dorthin.
Eine Gestalt zeichnete sich im Dunkel vor ihr ab, ein Mann, der in der Tunnelmitte Wache stand. Jane fragte sich, wie lange er dort allein im Dunkeln gestanden haben mochte.
Sie wartete ab, ob er Anstalten machte, sich zu bewegen, doch er rührte sich nicht von der Stelle.
Vorsichtig schlich sie näher und leuchtete ihm mit der Stablampe ins Gesicht. Eine Offiziersuniform mit Goldknöpfen, Schulterstücken und Ankerabzeichen.
Die Augen pechschwarz.
Die Gestalt neigte langsam den Kopf, um Jane direkt anzusehen, und stieß einen Schrei aus, ein langes schauerliches Geheul. Der Mund war voller metallischer Borsten.
Der Schrei schien minutenlang anzuhalten, schien gar
nicht mehr enden zu wollen. Jane zündete den Flammenwerfer und blies den Mann von den Füßen und in den Tunnel hinein.
Dann stieg sie über den brennenden Körper hinweg.
Aus der Tiefe der Tunnels drang ein Schrei; irgendetwas unten in den Tiefen des Bunkers antwortete auf den Ruf des Matrosen.
Die Tunnel erzeugten eine seltsame Musik, sanfte, leise gehauchte Flötentöne, die an- und abschwollen, während sie die Gänge und Quersohlen entlanglief.
Sie stieß auf einen senkrechten, bis zur Oberfläche führenden Schacht mit einer gigantischen, in die Tunneldecke eingelassenen Belüftungsturbine mit verrosteten Lamellen.
Durch den Schacht war Schnee herabgerieselt, ein hoher Eishügel versperrte Jane den Weg.
Ein lang anhaltender Feuerstoß aus dem Flammenwerfer ließ das Eis zusammenschmelzen.
Sie entdeckte einen Matrosen, der an der Tunnelwand saß. Jane leuchtete ihm mit ihrer Stablampe ins Gesicht. Er trug einen Bart, war mit einer gestreiften Marinejacke bekleidet, sah schwach und abgemagert aus. Aus seinen Ohren sickerte Metall, seine Augen glühten rot. Er gab ein leises Zischen von sich.
Jane stieß ihn um und zertrat ihm den Kopf.
Sie lief weiter abwärts, immer tiefer hinab zwischen die fossilen Schichten. Ihre Stablampe ließ glitzernde Erzadern aus kambrischer und präkambrischer Zeit aufleuchten, den fernen Epochen heftiger vulkanischer Aktivität in der Arktis.
Sie sah auf ihre Armbanduhr. Wie weit mochte sich die Rampart mittlerweile von der Insel entfernt haben?
Womöglich vier oder fünf Kilometer; bis sie wieder an die Oberfläche kam, mochten es deren fünfzehn oder zwanzig sein. Trotzdem, sie konnte es noch immer schaffen, sie konnte über das Eis sprinten, das Durchhaltevermögen dafür hatte sie.
Dann unvermittelt wieder eine Erinnerung: ein Querfeldeinrennen. Schwitzend und vor Erschöpfung den Tränen nahe, schleppte sie sich zwischen tristen Feldern hindurch über eine endlose ländliche Straße. Das lag schon lange zurück.
An ein Hoftor gelehnt, stand Miss Gibson, ihre Sportlehrerin. »Komm schon, Stinkerchen, streng dich ein bisschen an.«
Lagerräume, davor bleiverkleidete Türen, hoch wie ein Flugzeughangar.
Eine der Türen stand einen Spalt weit offen. Für eine Erkundung fehlte ihr die Zeit, aber wenn diese Räume infizierte Passagiere von der Hyperion bargen, war ihr womöglich der Rückweg zur Oberfläche abgeschnitten.
Vom gigantischen Türdurchgang aus leuchtete sie mit ihrer Stablampe in das Dunkel.
Vor einer Wand war eine ebenso gigantische Schiffsschraube zu erkennen, die Heckpartie eines Atom-U-Bootes der Akula-Klasse. Schwarze, reflexionsarme Rumpfplatten, Seitenruder, Tiefenruder. Eine schartige Metallkante, wo die Heckpartie mit einem Plasmaschneider vom Hauptrumpf abgetrennt worden war.
Der Reaktor,
Weitere Kostenlose Bücher