Wandlung
allein sein, dein ganzes, gottverdammtes Leben allein sein.
Vielleicht hatte sie ja die falsche Entscheidung getroffen, vielleicht hätte sie Nikkis seltsamer Kommune beitreten und ein Mitglied der Herde werden sollen. Oder aber ihr altes, dickes Selbst hatte die ganze Zeit recht
gehabt. Was hatte das Leben, all die Abstrampelei, für einen Sinn? Warum nicht mit einem Sprung von der Bohrinsel all dem ein Ende machen?
Sie starrte an die Decke und versuchte, sich einen Grund zu überlegen, wieso sie weiteratmen sollte.
Sorg für die beiden und bring sie sicher nach Hause.
Jane stand auf und schnäuzte sich. Dann duschte sie, fand ein paar frische Sachen zum Anziehen und humpelte zur Kantine. Sie suchte Punch und Sian und sah die beiden durch ein Bullauge auf dem Hubschrauberlandeplatz stehen. Sie ging zu ihnen nach draußen.
Punch hatte einen schwarzen Kasten in der Hand, ein Messgerät, das er gerade untersuchte. »Ein Geigerzähler«, erklärte er. »Damit wurden Verstopfungen in den Raffinationstanks aufgespürt, indem man die Rohre mit radioaktiven Isotopen durchspülte.«
»Und, welchen Messwert zeigt es an?«
»Achtzig, die übliche Hintergrundstrahlung. Ich werde jeden Tag einen neuen Wert ermitteln. Nicht, dass wir viel tun könnten, sollten wir tatsächlich auf einen Strahlenherd stoßen. Schließlich können wir ja nicht einfach abdrehen und in die entgegengesetzte Richtung weiterfahren.«
»Wie lange wird der Brennstoff reichen?«
»Ein paar Wochen müssten wir die Lichter noch brennen lassen können.«
»Lebensmittel?«
»Ein paar, aber nicht viel.«
»Wir werden es schon schaffen«, sagte Jane. »Es wird hart werden, aber wir werden es schaffen.«
Jane begab sich hoch zur Aussichtskuppel, ließ sich in einem Sessel nieder und massierte ihr verletztes Bein.
Sie schaltete das Funkgerät ein und suchte die Wellenbereiche ab: nichts als Knacklaute und Pfeiftöne von unbemannten Sendeeinrichtungen, militärischen wie zivilen, die ihr Lied in die Ionosphäre sendeten.
»Dies ist ein Test des Notsendesystems. Dieses System wurde von den in freier Kooperation mit föderalen, staatlichen und lokalen Behörden zusammengeschlossenen Sendern in Ihrem Gebiet entwickelt, um Sie in einem Notfall auf dem Laufenden zu halten. Bei einem echten Notfall würde auf das eben gehörte Aufmerksamkeitssignal eine offizielle Verlautbarung oder Anordnung erfolgen. Hiermit endet der Test des Notsendesystems.«
Jane griff zum Mikrofon. »Die Kasker Rampart an alle Schiffe, over.«
Keine Antwort.
»Mayday, Mayday. Hier sprich Jane Blanc an Bord der Con-Amalgam-Raffinerieinsel Kasker Rampart. Ist dort draußen jemand?«
42 – Ghost
Mitternacht auf dem Dach der Welt – Dunkelheit und todbringende Kälte.
Die Aurora Boreales, ein flackernder Teilchenstrom, zieht über den Himmel am Pol, ein tanzendes, smaragdgrünes Feuer.
Rajesh Ghost sitzt mitten in einer Schneeebene, ein winziger Fleck im endlosen weißen Nichts. Jetzt, da die Städte in Trümmern liegen, die Menschheit ausgelöscht ist und eine neue, fremdartige Intelligenz auf Erden herrscht, ist er der letzte Mensch nördlich des Polarkreises.
Die Hände im Schoß, kniet er auf dem Eis, Jacke und Handschuhe hat er ausgezogen. Er hockt da in T-Shirt und Shorts und wird sich nie wieder bewegen.
Sein Fleisch ist hart wie Stein, seine Haut mit einer Reifschicht aus Schneekristallen bedeckt. Seine Augen sind zu Glas geworden. Sein Blick ist nach oben gerichtet, eine weiße Statue, die die Sterne anlächelt.
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
»Outpost« bei Hodder & Stoughton, London.
1. Auflage
Deutsche Erstausgabe Mai 2012
bei Blanvalet, einem Unternehmen
der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
© 2011 by Adam Baker
© der deutschsprachigen Ausgabe 2012 by
Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Umschlaggestaltung: Johannes Frick, Neusäß/Steppach
Umschlagmotiv: © Getty Images/Stone/Pete Atkinson
UH · Herstellung: sam
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
eISBN 978-3-641-08944-3
www.blanvalet.de
www.randomhouse.de
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