Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
und Armee-Einheiten sich von den Fronten zurückschleppten und ganze Scharen von Leuten mit planenbedeckten Fuhrwerken nach Zigeunerart flüchteten, fühlten alle, daß in dem ganzen Durcheinander noch etwas Zusätzliches geschah. Das Schlachtfeld war nicht mehr an einem anderen Ort, sondern auch in uns, in den Menschen, in dem, was vom zivilen Leben noch übrig war, in der Küche, im Schlafzimmer war auch Krieg. Etwas war explodiert. All das Träge und Faule, das die Menschen zusammengehalten hatte. Auf diese Art explodierte auch in mir etwas, als ich nach der Belagerung auf der buckligen Brücke meinen Mann erblickte.
Es explodierte diese Kinosache, die zwischen uns gewesen war. Diese ganze dumme, scheußliche Sache, wie die Story in einem billigen amerikanischen Film, wo der Generaldirektor die Tippmamsell heiratet. In dem Augenblick begriff ich, daß wir zwei gar nicht einander gesucht, sondern immer nur an dem Schuldgefühl herumgetastet hatten, das diesem Menschen die Haut kribblig machte. Er hatte dieses beunruhigende Gefühl irgendwie mit meiner Hilfe wegzuzaubern versucht. Was genau? Den Reichtum? Wollte er wissen, warum es auf der Welt Reiche und Arme gibt? Es ist alles Quatsch, was geschrieben und geredet wird, von den glatzköpfigen Weisen mit der Hornbrille, von den honigsüß salbadernden Priestern, von den haarigen, krächzenden Revolutionären. Es gibt nur eine entsetzliche Wahrheit, nämlich daß es auf Erden keine Gerechtigkeit gibt. Ob dieser Mann die Gerechtigkeit wollte? Und mich deshalb geheiratet hat? Hätte er nur meine Haut und mein Fleisch gewollt, dann hätte er das billiger haben können. Wenn er gegen die Welt, in die er hineingeboren war, rebellieren wollte, so wie die Kinder reicher Leute, die zu Revolutionären werden, weil ihnen vor Langeweile und Wohlstand nichts mehr einfällt, wenn er das gewollt hätte, dann hätte er auch andersherum rebellieren können, nicht auf so verdrehte Art wie mit mir. Wir verstehen das nicht, mein Süßer, wir, die von unten stammen, aus der Nyírség oder aus Zala. Sicher ist nur, daß er ein Herr war, aber anders als die mit den Wappen. Und er war auch auf eine andere Art bürgerlich als die Gnädigen und Hochwohlgeborenen, die sich eines Tages an den Platz der Adeligen drängten. Er war aus einem guten Holz geschnitzt, aus einem besseren als die meisten morschen Gestalten seiner Klasse.
Weißt du, er war von der Art, deren Ahnen Erdteile erobert hatten. Die waren in fernen Landen mit der Axt auf Urwälder losgegangen, hatten dazu liturgische Gesänge gebrüllt und waren durch wilde Gegenden gestampft, um die Eingeborenen auszurotten. Unter seinen Vorfahren gab es so einen Protestanten, der mit einem der ersten Schiffe nach Amerika fuhr. Er hatte außer einem Gebetbuch und einer Axt nichts auf die Reise mitgenommen. Darauf war mein Mann stolzer als auf alles, was sich die Familie später zulegte, die Fabrik und das viele Geld und den auf Hundehaut geschriebenen Adelsbrief.
Er war von einer guten Art, denn er beherrschte seinen Körper und seine Nerven. Sogar das Geld beherrschte er, und das ist am schwierigsten. Nur etwas konnte er nie unterdrücken, sein Schuldgefühl. Und wer Schuldgefühle hat, der will Rache. Dieser Mensch war ein Christ, aber nicht in der Bedeutung wie im Krieg, es war für ihn kein geschäftlicher Vorteil, Christ zu sein, so wie in der Nazizeit viele mit ihrem Taufschein fuchtelten, weil sie darauf spekulierten, daß etwas für sie abfiel, Beute oder schmutziges Geld. In jener Zeit war es ihm peinlich, Christ zu sein. Und doch war er ein Christ bis ins Mark hinein, so wie ein anderer nicht anders kann, als Künstler zu sein oder Alkoholiker.
Doch dieser Mensch wußte auch, daß Rache eine Sünde ist. Sämtliche Arten von Rache sind Sünde, und es gibt keine gerechte Rache. Nur zum Gerechtsein hat man ein Recht, zum gerechten Tun. Zur Rache hat niemand ein Recht. Und da er reich und ein Christ war und beides nicht unter einen Hut bringen, sich aber weder von dem einen noch von dem anderen lösen konnte, war er voller Schuldgefühle. Was schaust du mich an, als ob ich verrückt wäre?
Ich rede von ihm, meinem Mann. Der mir eines Tages entgegenkam, da es in Budapest wieder eine Brücke gab. Und dem ich vor aller Augen um den Hals fiel.
Er trat aus der Reihe, aber er rührte sich nicht. Er wehrte mich auch nicht ab. Keine Angst, er küßte mir angesichts all der Kirgisen und der zerlumpten, schlotternden Menschen nicht die
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