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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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trug er selbstverständlich nicht, die zog er nur im härtesten Winter an. Ich schaute mir auch seine Hände an. Sie waren weiß und sauber, und seine Nägel waren so diskret manikürt, als müßten sie nie geschnitten werden.
    Weißt du, was am seltsamsten war? Verglichen mit den gequälten, zerlumpten Massen, die sich über die Brücke schleppten, war dieser Mensch wie ein Aufrührer, und gleichzeitig war er fast unsichtbar. Man hätte ihn am liebsten geschüttelt und betastet, um zu wissen, ob er echt war. Stell dir vor, daß während der Französischen Revolution, in den Monaten des Terrors, als man in Paris auf die Aristokraten Jagd machte wie auf Spatzen, daß da auf der Straße in violettem Frack und gepuderter Perücke ein Marquis erscheint und freundlich den Karren zuwinkt, auf denen seine adeligen Freunde zum Schafott gefahren werden. Ungefähr so wirkte dieser Mann damals auf den Straßen von Budapest. Er war so anders als alles um ihn herum, als wäre er nicht aus dem Leben, aus einem Trümmerhaus hervorgetreten, sondern aus den Kulissen einer unsichtbaren Bühne, kostümiert für eine Rolle in einem historischen Stück, das nirgends mehr gespielt wurde.
    Zwischen den rauchenden Trümmerkulissen war ein Mensch hervorgetreten, der sich nicht verändert hatte. Der weder von der Belagerung noch vom Elend berührt worden war. Ich begann, um ihn zu fürchten. Denn damals lebten wir in einer Atmosphäre von Wut und Rachsucht, die man nicht ungestraft reizte, an die man besser gar nicht rührte. Es waren die Wut und die Rachsucht des schlechten Gewissens, die die Münder schäumen, die Augen blitzen ließen. Die Menschen rackerten sich mit der täglichen Lebensmittelbeschaffung ab, keuchten einem Löffel Fett, einer Handvoll Mehl, einem Gramm Gold hinterher. Und zwischendurch schielten sie hinterhältig zu den anderen hin, denn ein jeder war verdächtig. Warum? Weil wir alle schuldig waren, so oder so. Weil wir etwas überlebt hatten, an dem andere gestorben waren.
    Mein Mann hingegen saß ruhig da, als sei er unschuldig. Ich verstand das nicht.
    Ich senkte den Blick und wußte nicht, was tun. Sollte ich ihn irgendwie ans Messer liefern? Aber er hatte überhaupt keine Schuld. Nie hatte er bei den Scheußlichkeiten mitgemacht, die in jener Zeit in der Stadt und dann im ganzen Land begangen wurden. Er hatte keinem Juden etwas angetan, niemanden verfolgt, der anders dachte, keine Wohnung eines Verschleppten ausgeraubt. Niemand konnte mit dem Finger auf ihn zeigen, denn er hatte keinen Brosamen vom Brot eines anderen gegessen, kein Leben gefährdet. Auch später habe ich nie gehört, daß ihn jemand angeklagt hätte. Er nahm am Plündern und Stehlen nicht teil. Vielmehr war er es, der gründlich ausgenommen wurde. In dem Augenblick, als ich ihm nach der Belagerung begegnete, war auch er schon ein Bettler. Später habe ich erfahren, daß ihm von dem ganzen Reichtum nichts geblieben war als ein Koffer voller Kleider. Und sein Ingenieursdiplom. Damit ist er ausgewandert, nach Amerika, wie es heißt. Vielleicht ist er jetzt dort Arbeiter in einer Fabrik. Ich weiß es nicht. Den Schmuck hatte er mir viel früher schon gegeben, als wir uns scheiden ließen. Siehst du, wie gut, daß der Schmuck übriggeblieben ist. Ich sag’s nicht deswegen, ich weiß doch, daß du nicht mal im Traum an meinen Schmuck denkst. Du hilfst einfach, ihn zu verkaufen, weil du ein Lieber bist.
    Was sagst du? … Ja, es dämmert. Da sind die ersten Gemüsewagen. Es ist fünf Uhr vorbei. Sie fahren zum Fluß hinunter, auf den Markt.
    Bist du nicht müde? Ich will dich zudecken. Es wird kühl.
    Nein, ich friere nicht. Mir ist eher heiß. Laß nur, mein Herz, ich mache das Fenster zu.
    Also, ich habe gesagt, daß ich ihn ansah und daß mir ganz komisch wurde, kalt und zittrig, mit Schweiß an den Handflächen. Denn ich sah, daß mich mein Exmann, dieser vornehme Herr, lächelnd betrachtete.
    Aber glaub ja nicht, er habe überheblich oder spöttisch gelächelt. Sondern einfach so, wie wenn man höflich und gleichgültig auf einen Witz reagiert, der weder geistreich noch pikant ist, aber man hat eben Manieren und lächelt. Bleich war er, das schon. Die Kellerluft sah man sogar ihm an. Aber er war doch nur auf die Art bleich wie jemand, der nach mehrwöchiger Krankheit zum erstenmal ins Freie geht. Er war um die Augen herum bleich. Und seine Lippen schienen blutleer. Sonst war er genauso wie immer, zum Beispiel morgens um zehn nach dem Rasieren. Aber

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