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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Nachricht glattzustreichen, sich für den Schmerz unempfindlich zu machen. Andere würden in einem solchen Fall einfach sagen: »Mutter liegt im Sterben.« Er aber achtete immer darauf, das Unangenehme oder Traurige höflich mitzuteilen. Die sind so. Man wird sie nie ganz verstehen.
    Auch jetzt paßte er auf. Sieben Jahre nach Beendigung unseres Privatkriegs. Also, er steht da, nach der Belagerung, am Brückenkopf, und sein erstes Wort ist: »Ich fürchte, wir sind hier im Weg.«
    Er sagte es leise und lächelte dazu. Keine Frage, was mit mir sei, wie ich die Belagerung überlebt hätte, ob ich etwas brauchte. Nur der Hinweis, daß wir hier eventuell im Weg waren. Und er bedeutete, wir sollten ein bißchen weitergehen, in Richtung des Gellérthegy. Als wir auf einen leeren Platz kamen, blieb er stehen, blickte sich um und sagte: »Ich glaube, es wäre am besten, wenn wir uns hier hinsetzten.«
    Er hatte recht, es war tatsächlich »am besten«. Er zeigte auf das Wrack eines Jagdflugzeugs, der Pilotensitz war heil geblieben, zwei Personen fanden in dem Flugzeugkadaver Platz. Ich sagte nichts und setzte mich gesittet auf den Sitz des russischen Piloten. Er setzte sich hinter mich. Aber vorher wischte er den Sitz mit der Hand ab. Dann zog er ein Taschentuch hervor und säuberte sich damit die Hand. Eine Weile saßen wir schweigend, ohne ein Wort. Die Sonne schien. Und eine große Stille lag über dem Platz, über den kaputten Flugzeugen und Autos und zerschossenen Kanonen.
    Man hätte sich ja auch vorstellen können, daß ein Mann und eine Frau sich vielleicht ein paar Worte sagen, wenn sie sich nach der Belagerung von Budapest zum erstenmal wieder treffen. Zum Beispiel könnten sie feststellen, daß sie beide noch am Leben sind. »Ich fürchte« beziehungsweise »Ich glaube«, ja, auch das kann man sagen. Aber nicht einmal das. Und so saßen wir einfach vor der Felsengrotte, dem Eingang zum Sprudelbad gegenüber, und ich drehte mich zu ihm um.
    Ich schaute ihn mir recht an, das kannst du mir glauben. Und es wurde mir seltsam zumute: Er war wie ein Traum, gleichzeitig Nebel und Wirklichkeit.
    Laß gut sein, mein Süßer, ich bin nicht belämmert. Und auch kein sentimentaler Trampel, der zu heulen beginnt, weil er schlechte Nerven hat und von einem Wiedersehen gerührt ist. Mir war seltsam zumute, denn der Mensch, der neben mir saß, in den Trümmern der toten Großstadt, dieser Mensch war nicht aus Fleisch und Blut, sondern er war ein Gespenst.
    So kommen Menschen nur im Traum vor. Nur der Traum vermag die Dinge so gespensterhaft, in einer Flüssigkeit, die feiner ist als Spiritus, aufzubewahren. So erschien mir mein Mann in jenem Augenblick. Stell dir vor, er war nicht zerlumpt. Ich weiß nicht mehr, ob er denselben dunkelgrauen Flanellzweireiher trug wie bei unserem letzten Treffen, als er glaubte, »es wäre am besten, wir würden uns scheiden lassen«. Ich konnte es nicht genau wissen, denn er besaß mehrere dieser dunkelgrauen Anzüge, aber jedenfalls war es der gleiche Schnitt, und auch dieser war von dem Schneider genäht worden, der schon für seinen Vater gearbeitet hatte.
    Und auch an diesem Morgen trug er ein sauberes Hemd, nämlich ein cremefarbenes Batisthemd, und eine dunkelgraue Krawatte. Und an den Füßen hatte er schwarze Halbschuhe mit Doppelsohlen, die nagelneu schienen, ich weiß gar nicht, wie er es geschafft hatte, über die schmutzige Brücke zu kommen, ohne daß ein Staubkörnchen an seinen Schuhen hängenblieb. Natürlich wußte ich, daß die Schuhe nicht neu waren, sondern nur so aussahen, weil er sie wenig getragen hatte, einst gab es ja ein Dutzend solcher Paare im Schrank.
    Von einer solchen Erscheinung sagt man, sie sähe aus wie aus dem Ei gepellt. Doch das Ei war die Leichengrube, in der wir damals alle verwesten. Aus dieser Grube war er herausgetreten. Keine Falte an seiner Kleidung. Den hellbeigen Regenmantel hatte er locker über den Arm gelegt, dieses lose, unanständig bequeme, aus doppelter englischer Popeline geschnittene Prachtstück, an das ich mich gut erinnerte, denn ich hatte Jahre zuvor das Paket aufgemacht, in dem es aus London gekommen war. Und viel später ging ich in London am Schaufenster der Firma vorüber, die diese Regenmäntel verkaufte, und mir klopfte das Herz, weil ich unter den ausgestellten Mänteln den des jungen Herrn erkannte. Und jetzt hatte er diesen Regenmantel über den Arm geworfen, ganz lässig, denn der vorfrühlingshafte Morgen war warm.
    Handschuhe

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