Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
Hand. Er hatte zu gute Manieren, um eine solche Geschmacklosigkeit zu begehen. Er stand einfach da und wartete, bis die peinliche Szene vorbei war. Stand ruhig da, und ich sah durch meine geschlossenen Augen hindurch sein Gesicht, so wie die Frauen das Gesicht des Kindes sehen, das noch in ihrem Bauch ist.
Doch in dem Augenblick, da ich mich krampfhaft an seinen Hals klammerte, geschah etwas. Der Geruch kam über mich, der Geruch meines Mannes … Jetzt paß gut auf.
In dem Augenblick begann ich zu zittern. Meine Knie schlotterten, ich hatte auf einmal wieder Bauchkrämpfe. Stell dir das vor: Der Mann, der mir auf der Brücke entgegenkam, stank nicht. Du kannst nicht verstehen, was ich sage, aber in jener Zeit hatten die menschlichen Körper irgendwie einen Aasgeruch, auch dann, wenn auf wundersame Art noch ein Stück Seife oder ein Toilettenwasser übriggeblieben war, in den Geheimfächern der Tasche, die man in den Keller oder in den Schutzraum mitgeschleppt hatte. Und auch dann, wenn es einem irgendwie gelungen war, sich zwischen zwei Bombenangriffen zu waschen. Denn der Geruch einer Stadtbelagerung läßt sich nicht mit ein bißchen Seifenschaum wegschrubben. Der Geruch der Kloaken, der Leichen, der Keller, des Erbrochenen, der Luftlosigkeit, der zusammengepferchten, in Todesangst schwitzenden Menschen, der körperlichen Bedürfnisse, der wild zusammengemischten Eßwaren. Das alles klebte damals an unserer Haut. Und wer nicht auf diese Art stank, roch penetrant nach Kölnischwasser und Patschuli, und das war noch schlimmer und ekelerregender als der natürliche Gestank.
Aber mein Mann stank nicht nach Patschuli. Ich roch an ihm, mit Tränen in den geschlossenen Augen, und begann zu zittern.
Er roch nach Heu! Wie an dem Tag, als wir uns scheiden ließen. Wie in der Nacht, als ich zum erstenmal in seinem Bett lag und mir von diesem herben Herrengeruch schlecht wurde. Dieser Mensch war auch jetzt so, am Körper und in der Kleidung und im Geruch, war wie damals, als ich ihn das letztemal gesehen hatte.
Ich ließ seinen Hals los und trocknete mir mit dem Handrücken die Augen. Mir war schwindlig. Ich nahm aus meiner Einkaufstasche ein Taschentuch hervor, dann einen kleinen Spiegel und einen Lippenstift. Keiner von uns beiden sagte etwas. Er stand und wartete, bis ich mein nasses, verschmiertes Gesicht irgendwie zurechtgemacht hatte. Ich wagte ihn erst wieder anzuschauen, nachdem ich mich im Spiegel davon überzeugt hatte, daß ich wieder halbwegs menschlich aussah.
Ich traute meinen Augen nicht. Weißt du, wer da vor mir stand, am Budaer Ende der zusammengezimmerten Brücke, in der Tausende von Menschen zählenden Schlange? In der verrauchten, verrotteten Stadt, in der es kaum ein Haus gab, das von den Einschüssen nicht pockennarbig war? Und kaum ein Fenster mit heilen Scheiben, und auch sonst nichts, keine Fahrzeuge, keine Polizei, keine Gesetze. Und wo sich die Menschen als Bettler kleideten, auch dann, wenn es nicht nötig war, wo sie Greise oder zerlumpte Gestalten vorstellten und sich wilde Haartrachten zulegten und elend herumlungerten, um Mitleid zu erwecken. Wo Damen Lumpensäcke schleppten und mit Rucksäcken daherkrochen wie die keuchenden, dreckigen Pilger auf dem Dorfjahrmarkt. Mein Gatte stand vor mir. Genau der Mensch, dem ich sieben Jahre zuvor Unrecht getan hatte. Der eines Nachmittags, nachdem er begriffen hatte, daß ich für ihn weder die Geliebte noch die Ehefrau, sondern eine Feindin war, sich vor mich hinstellte und lächelnd und ruhig sagte: »Ich glaube, es wäre am besten, wir würden uns scheiden lassen.«
Er begann immer so, wenn er etwas Wichtiges sagen wollte: »Ich glaube …« oder: »Mir scheint …« Er hätte nie einfach so, Knall und Fall, gesagt, was er zu sagen hatte. Mein Vater, wenn der zum Beispiel die Nase voll hatte, begann immer so: »Herrgottsakramentnochmal.« Und dann schlug er zu. Mein Mann hingegen, wenn er es nicht mehr aushielt, machte immer zuerst höflich eine kleine Tür auf, einen unbestimmten halben Satz, durch den das Wichtige oder Verletzende seiner Aussage hinausschlüpfen konnte. Das hatte er im Internat in England gelernt. Auch das war ein Lieblingswort von ihm: »Ich fürchte …« Zum Beispiel sagte er eines Abends: »Ich fürchte, Mutter wird sterben.« Das tat sie dann auch, abends um sieben, sie war ja schon blau angelaufen, als der Arzt meinem Mann sagte, es bestehe keine Hoffnung mehr. Dieses »Ich fürchte« diente dazu, eine tragische
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