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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Hand, mit der du die Synkopen rollen läßt wie Kleopatra die Perlen. Wart mal, ich will mir die Augen trocknen, ich bin ganz gerührt. Immer wenn ich deine Hand ansehe, muß ich weinen.
    Mein Mann kam mir also auf der Brücke entgegen, denn eines Tages gab es wieder eine Brücke. Eine einzige. Aber was für eine! Du warst nicht dabei, als sie gebaut wurde, deshalb kannst du nicht wissen, was das für uns, die Bevölkerung der belagerten großen Stadt, bedeutete, als sich die Nachricht verbreitete, Budapest habe wieder eine Donaubrücke. Sie war in kürzester Zeit entstanden, schon zu Ende Winter konnten wir die Donau auf der Brücke überqueren. Sie war aus den Pfeilern und anderen Bestandteilen einer noch halbwegs vorhandenen Eisenbrücke zusammengetakelt worden. Ein bißchen bucklig zwar, aber sie trug auch Lastwagen. Und auch die Hunderttausende von Menschen, die wie eine Riesenraupe sich vorwärts bewegende Masse, die schon am frühen Morgen, als die Brücke geöffnet wurde, an beiden Ufern der Donau gewartet hatte.
    Denn diese Brücke durfte man nicht einfach so betreten. Lange Menschenschlangen standen in Pest und in Buda und rückten dann langsam in Richtung der Brücke vor. Freudig erregt wie vor einem Hochzeitsfest. Jede Überquerung war ein Ereignis, auf das man stolz war. Später wurden noch andere und stärkere Brücken gebaut, und es gab auch Pontonbrücken. Ein Jahr später fuhren schon Taxis hin und her. Aber ich denke immer noch an die erste Brücke, an das Schlangestehen, an das langsame Vorrücken in der Menge, jeder von uns mit der Last der Erinnerung und einem Rucksack auf dem Rücken, von einem Ufer zum anderen. Als später die Auslandsungarn aus Amerika zu Besuch kamen und mit ihren prachtvollen Autos über die Eisenbrücken flitzten, hatte ich immer einen bitteren Geschmack im Mund, denn mich machte es traurig, wie gleichgültig diese Fremden unsere neuen Brücken benutzten. Sie waren von weither gekommen und hatten am Krieg nur eben geschnuppert, ihn aus der Distanz angeschaut wie im Kino. Sehr nett, sagten sie, wie ihr da lebt und auf euren Brücken hin und her fahrt.
    Mir tat das Herz weh, wenn ich sie hörte. Was wißt ihr schon, dachte ich. Und ich begriff, daß jemand, der nicht hier gelebt hatte, der nicht bei uns gewesen war, auch nicht wissen konnte, was eine Million Menschen fühlten, als unsere wunderschönen alten Donaubrücken eine nach der anderen in die Luft flogen. Und was wir fühlten, als wir eines Tages wieder trockenen Fußes über den Fluß gehen konnten. Und nicht in einer Nußschale wie vor Jahrhunderten die Kuruzen und die Türken. Meinetwegen können die in Amerika noch so lange Brücken haben. Diese unsere Brücke bestand aus morschem Holz und Alteisen, und ich war unter den ersten, die sie benutzten. Genauer gesagt hatte mich die Menschenmasse, die in kleinen Schritten vorrückte, zum Brückenaufgang geschoben, als ich auf der Gegenseite, aus der Richtung von Pest, meinen Mann erblickte, der soeben in Buda ankam.
    Ich sprang aus der Reihe und rannte zu ihm, um ihn zu umarmen. Die Leute begannen gleich zu murren, denn ich behinderte die Bewegung der Masse.
    Wart mal, ich will mir die Nase putzen. Was bist du für ein Lieber. Lachst mich nicht aus, sondern paßt auf wie ein kleiner Junge, der das Ende des schönen Märchens hören will.
    Aber das war kein Märchen, mein Kleiner, und nichts hatte einen wirklichen Anfang und ein richtiges Ende. Alles rumpelte einfach vorwärts, in uns und um uns, die wir damals in Budapest lebten. Unser Leben hatte keine greifbaren Grenzen, keinen Rahmen. Die Grenzen schienen irgendwie weggewischt, und alles lief einfach ab, ins Uferlose. Noch heute geht es mir manchmal so, daß ich nicht weiß, wo Anfang und Ende der Dinge sind, die mit mir geschehen.
    Jedenfalls hatte ich auch in jenem Augenblick dieses Gefühl, als ich von der einen Seite der Brücke auf die andere lief. Es war einfach eine Regung, ohne Berechnung, denn einen Augenblick zuvor hatte ich ja nicht einmal gewußt, ob der Mensch noch lebte, der früher einmal – weißt du, vor der Zeit, die man Geschichte nennt –, also viel früher einmal, mein Mann war. Das schien unglaublich weit zurückzuliegen. Die eigene Zeit mißt man ja nicht mit Uhrzeiger und Kalender. Niemand wußte damals von den anderen, ob sie noch lebten. Die Mütter wußten nicht, wo ihre Kinder waren, und Verlobte und Ehepaare trafen sich zufällig auf der Straße. Es war wie zu Urzeiten, als es weder

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