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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Namenlosigkeit, aus der Tiefe, aus der Masse hervorgetreten und hatte etwas Außergewöhnliches mitgebracht: die Harmonie, die Sicherheit und die Schönheit. Das alles fühlte ich damals nur undeutlich. Sie war kein Kind mehr, und sie war noch nicht ganz eine Frau. Ihr Körper war schon entwickelt, ihre Seele war noch schlaftrunken, vor dem Erwachen. Ich habe auch seither keine Frau getroffen, die ihres Körpers, ihrer körperlichen Stärke so völlig sicher war wie Judit Áldozó.
    Sie trug ein billiges städtisches Kleid und schwarze Halbschuhe. Es war alles so bewußt und brav zusammengesucht wie üblich unter den Bauernmädchen, wenn sie sich für die Stadt anziehen und hinter den Fräuleins nicht zurückstehen wollen. Ich blickte auf ihre Hände. Ich hoffte, an ihnen etwas zu finden, das mich abstoßen würde. Das sind wahrscheinlich klobige, von der Feldarbeit rote Hände, hoffte ich. Aber sie hatte weiße, längliche Hände. Von keiner Arbeit verdorben. Später erfuhr ich, daß sie auch zu Hause verwöhnt worden war, daß ihre Mutter sie nie zu grober Arbeit angehalten hatte.
    So stand sie da und ließ es zu, daß ich sie im starken Licht betrachtete. Sie blickte mir in die Augen, mit einem direkten, aufmerksamen Blick. In diesem Blick und in ihrer Haltung war nichts Herausforderndes, keine Koketterie. Das war nicht die kleine Schlampe, die zur städtischen Herrschaft kommt und gleich die Ohren spitzt, gleich mit dem jungen Herrn Blicke zu tauschen beginnt. Nein, das war eine Frau, die sich einen Mann gut ansah, weil sie spürte, daß er sie anging. Ohne jedoch zu übertreiben, weder damals noch später. Die Beziehung zwischen uns beiden wurde bei ihr nie zu einer Zwangsvorstellung. Als ich nicht mehr ohne sie leben, ohne sie schlafen, nicht mehr ohne sie meine Arbeit tun konnte, als sie in meiner Haut und in meinen Träumen und Reflexen festsaß wie ein tödliches Gift, entschied sie immer noch ruhig und selbstbewußt, ob sie weggehen oder dableiben sollte. Sie hat mich nicht geliebt, meinst du? … Das habe ich eine Zeitlang auch gedacht. Aber ich will nicht streng urteilen. Sie hat mich geliebt, bloß auf eine andere Art, bodenständiger, praktischer, vorsichtiger. Gerade darum ging es ja.
    Gerade darum war sie die Frau aus der Unterschicht. Und ich der Bürger. Ich will dir das erklären.
    Was dann geschehen ist? … Nichts, mein Lieber. Dinge wie meine Gefangenschaft bei Judit Áldozó »geschehen« nicht wie die Ereignisse in einem Roman oder einem Theaterstück. Die entscheidenden Ereignisse des Lebens geschehen mit der Zeit, also sehr langsam. Eine Handlung ist kaum sichtbar. Man lebt … mehr Handlung haben die Situationen nicht, die wichtig sind im Leben. Ich kann nicht sagen, Judit Áldozó sei eines Tages bei uns eingetreten, und am folgenden Tag oder ein halbes Jahr später sei das oder jenes geschehen. Ich kann auch nicht sagen, ich sei von dem Augenblick an, da ich sie sah, von Leidenschaft gepackt gewesen und habe weder essen noch schlafen können, sondern bloß von einem unbekannten Bauernmädchen phantasiert, das in meiner Umgebung lebte, jeden Tag in mein Zimmer kam, sich immer gleich benahm, meine Fragen beantwortete, lebte und gedieh wie ein Baum und mit seinen einfachen und überraschenden Ausdrucksmitteln etwas Wesentliches mitteilte, nämlich ganz schlicht die Tatsache, daß auch sie auf dieser Erde lebte. Das stimmte alles und war doch nichts, was über das Alltägliche hinausreichte. Noch lange nicht.
    Und doch erinnere ich mich mit einer gewissen Rührung an jene erste Zeit. Das Mädchen hatte in unserem Haus keine wichtige Rolle, und ich sah sie selten. Meine Mutter bildete sie zum Zimmermädchen aus, aber bei Tisch durfte sie noch nicht servieren, denn sie kannte unsere familiären Rituale noch nicht. Meistens trottete sie einfach hinter dem Diener her wie der Clown im Zirkus, der die Darbietung imitiert. Manchmal begegnete ich ihr im Treppenhaus oder im Salon, manchmal kam sie auch in mein Zimmer, grüßte, blieb auf der Schwelle stehen, überbrachte eine Nachricht. Du mußt wissen, daß ich dreißig vorbei war, als Judit Áldozó in unser Haus kam. Dreißig vorbei, und in vielem mein eigener Herr. In der Fabrik war ich Geschäftspartner, mein Vater begann – sehr vorsichtig –, mich an die Selbständigkeit zu gewöhnen. Ich verdiente sehr gut, aber ich zog nicht weg von zu Hause. Ich bewohnte zwei Zimmer im ersten Stock. Dieser Teil des Hauses hatte einen eigenen Eingang. Wenn

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