Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
erziehen, eine gesündere Art von Beziehung herzustellen, ihr eine Wohnung zu kaufen, sie zu meiner Geliebten zu machen und dann mit ihr zu leben, soweit es möglich war. Ich muß dir aber sagen, daß mir das alles viel später, erst Jahre danach in den Sinn kam. Und da war es schon zu spät, da kannte diese Frau ihre Stärke schon, sie wußte, was sie zu tun hatte, sie war obenauf. Da war ich schon auf der Flucht vor ihr. In den ersten Jahren hingegen hatte ich nur gespürt, daß im Haus etwas geschah. Ich kam nachts heim, tiefe Stille empfing mich, Stille und Ordnung wie in einem Kloster. Ich ging in meine Wohnung hinauf, wo der Diener schon alles für die Nacht vorbereitet hatte, den kalten Orangensaft in der Thermosflasche, meine Lektüren und Zigaretten. Auf meinem Tisch standen immer Blumen, meine Kleider, Bücher und Kunstgegenstände waren alle an ihrem Platz. Ich blieb im angenehm geheizten Zimmer stehen und horchte. Natürlich dachte ich nicht dauernd an dieses Mädchen, hatte nicht die Zwangsvorstellung, daß sie in der Nähe war, irgendwo in der Nähe in einem Dienstbotenzimmer schlief. Es verging ein Jahr, dann noch eins, und ich spürte bloß, daß unser Haus irgendwie einen Sinn bekommen hatte. Und wußte nur, daß Judit Áldozó bei uns lebte und sehr schön war, was alle wußten – der Diener mußte entlassen werden, und auch der Köchin, einer alleinstehenden älteren Frau, mußte gekündigt werden, weil sie sich in Judit verliebt hatte und ihrer Liebe nicht anders Ausdruck zu geben wußte als durch Streit und Gezänk –, aber von alldem sprach niemand. Vielleicht kannte nur meine Mutter die Wahrheit, aber sie sagte nichts. Ich habe über dieses Schweigen später oft nachgedacht. Meine Mutter war intuitiv, sie wußte alles, auch ohne Worte. Niemand im Haus kannte das Geheimnis des verliebten Dieners und der verliebten Köchin, außer meiner Mutter, die in der Liebe bestimmt keine weitreichenden Erfahrungen hatte und von so verqueren, hoffnungslosen Gefühlen, wie sie die alte Köchin für Judit hegte, vielleicht nie gelesen hatte. Und doch kannte sie den wahren Sachverhalt. Sie war schon eine alte Frau und staunte über nichts mehr. Sie wußte auch, daß Judit für das Haus gefährlich war, und nicht nur für die Köchin und den Diener. Sondern für alle, die im Haus lebten. Um Vater hatte sie allerdings keine Angst, denn er war alt und krank, und außerdem liebten sie sich sowieso nicht. Mutter liebte mich, und später fragte ich mich, warum sie die Gefahr nicht rechtzeitig aus dem Haus geschickt hatte, wenn sie doch alles durchschaute. Das Leben ist vergangen, oder beinahe, bis ich es endlich herausgefunden habe.
Ganz im Vertrauen: Meine Mutter wünschte diese Gefahr für mich.
Und zwar deshalb, weil sie mich vor einer größeren Gefahr bewahren wollte. Weißt du, vor welcher? … Keine Ahnung? … Vor der Einsamkeit, vor jener beängstigenden Einsamkeit, in der ihr Leben verlief, das Leben meines Vaters und meiner Mutter, das ganze glorreiche, arrivierte, rituelle Leben ihrer Klasse. Es gibt einen Vorgang, der beängstigender, erschreckender ist als alles andere: der Vorgang der Vereinsamung. Das Mechanischwerden des Lebens. Die strenge Hausordnung, die noch strengere Arbeitsordnung und die noch strengere Gesellschaftsordnung und dann auch die Ordnung in den Vergnügungen, Neigungen, sexuellen Betätigungen. Man weiß im voraus, zu welcher Stunde man sich anziehen, frühstücken, arbeiten, Liebe machen, ausspannen, sich bilden wird. Die ideale Ordnung. Und in dieser großen Ordnung gefriert allmählich das Leben um einen herum; so wie um eine Expedition, die in blühende, weit entfernte Gegenden hätte führen sollen, auf einmal die Welt und das Meer zu Eis werden und es keine Pläne und Absichten mehr geben kann, sondern nur noch Kälte und Erstarrung. Das ist der Tod, eine derartige kalte Starrheit. Der Prozeß verläuft langsam und unaufhaltsam. Eines Tages gerinnt das Leben der Familie. Alles wird wichtig, jede Einzelheit, das Leben selbst aber spürt man nicht mehr. Man kleidet sich morgens so sorgfältig an, als rüste man sich für eine bedeutsame Feierlichkeit, Beerdigung oder Hochzeit oder Urteilsverkündung. Man geht in Gesellschaft, man empfängt Gäste, und hinter allem ist die Einsamkeit. Solange in den Herzen und Seelen hinter dieser Einsamkeit eine Erwartung lebt, so lange ist es auszuhalten, man lebt noch, nicht gut zwar, nicht menschenwürdig, aber immerhin, man lebt, und es
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