Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
ich abends nicht in der Stadt beschäftigt war, aß ich mit meinen Eltern. Das alles erzähle ich, damit du siehst, daß ich nicht viel Gelegenheit hatte, das Mädchen zu treffen. Doch von dem Augenblick an, da sie unser Haus betreten hatte, war in unseren Begegnungen eine Spannung, die man nicht mißverstehen konnte.
Diese Frau blickte mir immer geradewegs in die Augen. Als ob sie etwas fragen wollte.
Das war kein Zimmerhäschen, keine Unschuld vom Lande, die zu Boden blickt, wenn sie dem jungen Herrn begegnet. Sie errötete nicht, sie flirtete nicht. Wenn wir uns trafen, blieb sie stehen wie angerührt. So wie in dem Moment, als ich das Licht angedreht hatte, um sie besser zu sehen, und sie mir gehorsam ihr Gesicht gezeigt hatte. Sie schaute mir in die Augen, aber so seltsam … nicht herausfordernd, nicht lockend, sondern ernst, mit fragend geweiteten Augen. Immer so, mit diesem offenen, fragenden Blick. Die Frage des Geschöpfs, hat Lázár einmal gesagt. Daß es unter dem Bewußtsein der Kreatur eine Frage gibt und daß sie lautet: »Warum?«
Auch Judit Áldozó stellte diese Frage. Warum lebe ich, was hat das Ganze für einen Sinn? So irgendwie. Seltsam war nur, daß sie mich das fragte.
Und da sie beängstigend schön war, würdevoll, jungfräulich und wild entschlossen schön, ein Meisterstreich des Schöpfers, etwas, das man nur einmal so vollkommen zu gestalten und in eine Form zu gießen vermag, begann ihre Schönheit in unserem Haus, in unserem Leben zu wirken wie eine hartnäckige unhörbare Musik. Die Schönheit ist wahrscheinlich eine Kraft, genauso wie die Hitze, das Licht oder der menschliche Wille. Ich glaube allmählich, daß auch Wille dahinter ist, natürlich nicht kosmetische Bemühungen, denn was ist schon Schönheit, die durch künstliche Mittel hervorgerufen wird, durch Gerben und Präparieren wie bei einem Tierbalg? Nein, hinter der Schönheit, die aus vergänglichem, zerbrechlichem Material besteht, lodert ein starker Wille. Die Menschen erhalten mit ihrem Herzen und ihren Drüsen, mit dem Verstand und den Instinkten die Harmonie, dieses glückliche und wunderbare Gemisch, dessen letzte Konsequenz und Wirkung die Schönheit ist. Wie gesagt, ich war dreißig vorbei.
Ich sehe deinem Blick an, daß du jetzt die verdorben-kluge Männerfrage stellen willst, nämlich: Wo war denn das Problem? Wäre es nicht einfacher, wenn man in einem solchen Fall auf sein Blut, seine Triebe hört? Ein dreißigjähriger Mann kennt doch die Wahrheit bereits. Er weiß, daß es die Frau nicht gibt, die er nicht in sein Bett bringen kann, wenn die Frau gerade frei und ihr Herz und ihr Denken nicht von einem anderen Mann besetzt ist, wenn es keine körperlichen oder geschmacksbedingten Hindernisse gibt und wenn man sich kennt und Gelegenheit zu Treffen hat. Das ist die Wahrheit. Ich kannte sie auch und setzte sie durchaus großzügig in die Tat um. Wie allen Männern in dem Alter, dazu einem, der nicht unbedingt kläglich anzusehen und obendrein wohlhabend war, kamen mir die Frauen entgegen, und ich wich ihren Angeboten nicht aus. Um einen vermögenden Mann ist ein ähnlicher Ringelreihen wie um eine hübsche Frau. Es ist nicht die Person gemeint: Die Frauen sind einsam, sie sehnen sich nach Zärtlichkeit, Vergnügen und Liebe, in jeder europäischen Großstadt leben mehr Frauen als Männer, und ich war weder entstellt noch dumm, lebte in einer gepflegten Umgebung, man wußte, daß ich reich war – ich tat also wie jeder andere in meiner Situation. Ich bin überzeugt, daß nach der Verlegenheit und Befangenheit der ersten Wochen ein freundliches Wort das Herz von Judit Áldozó gefügig gemacht hätte. Aber ich sprach es nicht aus. Für mich wurde diese Bekanntschaft, wenn man die Gegenwart eines jungen Dienstmädchens im Elternhaus so nennen kann, von dem Augenblick an verdächtig, gefährlich, unverständlich und aufregend, als ich merkte, daß ich diese Frau nicht als Geliebte wollte, daß ich sie nicht ins Bett kriegen wollte wie all die anderen vorher, daß ich nicht fünfzig Kilo erstklassiges Fleisch kaufen und konsumieren wollte. Nein. Was wollte ich?
Es ging lange, bis ich das herausfand. Ich ließ sie in Ruhe, denn ich hoffte auf etwas von ihr. Erwartete etwas. Nicht das Abenteuer. Was dann? … Die Antwort auf eine Frage, die bis dahin mein Leben geprägt hatte.
Unterdessen lebten wir, wie es sich gehörte. Natürlich dachte ich auch daran, das Mädchen aus unserer Umgebung wegzunehmen, sie zu
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