Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
Strafe, so wie ein Kind, das im dunklen Zimmer allein gelassen wird, während sich nebenan die Erwachsenen unterhalten und amüsieren. Doch dann ist man eines Tages erwachsen, und man merkt, daß die Einsamkeit, das wahre, bewußte Alleinsein, keine Strafe ist, auch kein verletzter, kränklicher Rückzug, keine Eigenbrötlerei, sondern der einzig menschenwürdige Zustand. Und da ist er auch nicht mehr so schwer zu ertragen. Es ist, als ob man in reinerer Luft lebte.
Also, das war mein Vater. Das war die Welt bei uns zu Hause. Die Welt des Geldes, des bürgerlichen Wohlanstands. Die Wohnung, die Fabrik schienen auf ein ewiges Leben eingerichtet. Die zur Arbeit und zum Leben gehörigen Rituale waren über das Leben hinaus geplant. Es herrschte Stille bei uns. Auch ich hatte mich früh an die Stille, ans Schweigen gewöhnt. Wer viel redet, verhüllt etwas. Wer konsequent schweigt, ist von etwas überzeugt. Auch das habe ich von meinem Vater gelernt. Doch als Kind litt ich unter solchen Lehren. Ich hatte das Gefühl, in unserem Leben fehle etwas. Die Liebe, sagst du … Die opferbereite Liebe. Ja, das sagt sich so leicht. Später habe ich erfahren, daß die mit falschen Ansprüchen geforderte Liebe mörderischer ist als Salzsäure, Automobil und Lungenkrebs zusammengenommen. Die Menschen morden einander mit Liebe wie mit einem tödlichen Strahl. Sie sind unersättlich, alle Zärtlichkeit soll ihnen gelten, nur ihnen. Sie wollen das ganze Gefühl, sie wollen ihrer Umgebung die Lebenskräfte entziehen, mit der Gier großer Pflanzen, die um sich herum alles leersaugen, dem Boden, den Keimlingen die Kraft, die Feuchtigkeit und den Duft rauben. Die Liebe ist ein gewaltiger Egoismus. Ich weiß nicht, ob es viele Menschen gibt, die ohne tödliche Verletzung die Schreckensherrschaft der Liebe ertragen. Schau um dich, schau durch die Fenster in die Wohnungen, schau in die Augen, hör dir die Klagen an, und du wirst überall die gleiche verzweifelte Anspannung finden. Niemand erträgt die Liebesansprüche seiner Umgebung. Eine Zeitlang höchstens, eine Zeitlang macht man Kompromisse, dann wird man müde. Dann kommt das Magenbrennen. Das Magengeschwür. Die Zuckerkrankheit. Das Herzproblem. Der Tod.
Hast du je Harmonie und Frieden gesehen? Einmal, in Peru, sagst du? … Na ja, vielleicht in Peru. Aber hier bei uns, in gemäßigten Zonen, kann diese Wunderblume nicht gedeihen. Manchmal blüht sie kurz auf, dann verwelkt sie gleich wieder. Vielleicht verträgt sie den Dunstkreis der Zivilisation nicht. Lázár sagte, die maschinelle Zivilisation stelle auf dem Laufband Einsamkeit her. Er sagte auch, Paphnucius in der Wüste, zerlumpt und verdreckt, sei nicht einsamer gewesen als die Menschen einer Großstadt in der sonntagnachmittäglichen Masse, im Kaffeehaus oder im Kino. Auch Lázár war einsam, aber bewußt, so wie die Mönche im Kloster. Einmal kam ihm jemand nahe, und da verreiste er schleunigst. Ich weiß das vielleicht genauer als er selbst und als die Person, die ihm nahekam. Doch das sind Privatangelegenheiten, die Angelegenheiten fremder Menschen, und ich habe kein Recht, darüber zu reden.
Bei uns zu Hause herrschte so eine hochfeierliche, düstere Einsamkeit. Ich erinnere mich manchmal an sie wie an einen traurigen, erschreckenden Traum … Du kennst das doch, die beengenden Träume, wie vor dem Examen. Auch wir bereiteten uns ständig auf ein beklemmendes, gefährliches Examen vor. Das Examen war die Bürgerlichkeit. Fortwährend übten wir für das Aufsagen der Lektion. Jeden Tag begann das Examen von neuem. In allem eine Anspannung, in unseren Handlungen, Worten und Träumen. Um uns herum. Die Einsamkeit, die sich auch den Dienstboten und den Menschen mitteilte, die nur kurz unser Haus betraten, und seien es Laufburschen. In den von Vorhängen verdunkelten Zimmern vergingen die Kindheit und die Jugend mit Warten. Mit achtzehn war ich dieser beklommenen Warterei schon sehr müde. Ich hätte gern etwas kennengelernt, das nicht ganz regulär war. Bis dahin ging es aber noch lange.
In diese Einsamkeit hinein trat Judit Áldozó.
Moment, ich gebe dir Feuer. Wie erträgst du diesen Kampf mit den Zigaretten? … Ich ertrage ihn ganz schlecht, aber ich habe es aufgegeben. Nicht die Zigaretten, sondern den Kampf. Eines Tages muß man auch dafür Rechenschaft ablegen. Man fragt sich, ob es sich lohnt, fünf oder zehn Jahre länger zu leben, ohne Zigaretten, oder ob man sich dieser peinlichen, kleinlichen Leidenschaft
Weitere Kostenlose Bücher