Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
lassen und würde diese heiraten, ich, der heikle Bürger, der wählerische reiche Herr, dieses kleine Dienstmädchen da mit seinem Bündel in der Hand, das mich genauso besorgt fixiert wie ich sie. Mit einer Aufmerksamkeit, als sähe sie zum erstenmal im Leben etwas, das den genauen Blick wirklich lohnt. Also, die ganze Geschichte schien in dem Moment völlig unwahrscheinlich. Hätte es jemand prophezeit, hätte ich ihm ungläubig zugehört. Jetzt nachträglich, Jahrzehnte später, würde ich gern die Frage beantworten, ob ich in dem Augenblick wußte, daß die Dinge so kommen würden. Und überhaupt, ob die sogenannten großen Begegnungen, die entscheidenden Augenblicke bewußt sind. Ob es das gibt, daß eines Tages jemand ins Zimmer tritt und man weiß: Aha, das ist sie. Die Richtige, wie im Roman. Ich kann darauf nicht antworten. Ich kann bloß die Augen schließen und mich erinnern. Ja, also, etwas geschah damals. Eine Strömung? Eine Strahlung? Ein heimlicher Kontakt? Das sind Wörter. Sicher ist aber, daß die Menschen ihre Gefühle und Gedanken nicht nur mit Worten ausdrücken. Es gibt auch eine andere Berührung zwischen den Menschen, eine andere Form der Übermittlung. Kurzwellen, so würde man heute sagen. Anscheinend ist auch der Instinkt nichts anderes als eine Art Kurzwellenkontakt. Ich weiß es nicht. Ich will niemandem etwas vormachen, weder dir noch mir. Deshalb kann ich nur sagen, daß ich in dem Augenblick, als ich Judit Áldozó erblickte, nicht weiterzugehen vermochte, und so unmöglich die Situation auch war, ich blieb dort dem fremden Dienstmädchen gegenüber stehen, und wir rührten uns beide nicht, sondern sahen uns an, lange.
»Wie ist Ihr Name?« fragte ich schließlich.
Sie nannte ihn. Auch das klang so vertraut. Es war Opfer darin, etwas Feierliches* [ * Áldozó heißt wörtlich: der Opfernde; der – im Sinn der katholischen
Messe – Kommunizierende (Anm. d. Übers.). ]. Und auch ihr Vorname, Judit, war so biblisch. Als ob das Mädchen aus der Vergangenheit gekommen wäre, aus der biblischen Einfachheit und Dichte, wie es das andere Leben ist, das ewige, wahre. Als ob sie nicht aus einem Dorf, sondern aus einer tieferen Schicht der Existenz gekommen wäre. Ich überlegte nicht lange, sondern ging zur Tür und drehte das Licht an, um sie besser zu sehen. Nicht einmal diese plötzliche Bewegung überraschte sie. Gehorsam und bereitwillig – aber nicht, weil sie ein Dienstmädchen war, sondern eine Frau, die wortlos dem Mann gehorcht, dem Mann, der als einziger das Recht hat, ihr zu befehlen – wandte sie sich seitwärts, wandte das Gesicht dem Licht zu, damit ich sie besser sehen konnte. Als ob sie sagen wollte: »Bitte, schau mich gut an. So bin ich. Wunderschön, ich weiß. Schau mich ganz ruhig an, beeil dich nicht. Das ist das Gesicht, an das du dich noch auf deinem Sterbebett erinnern wirst.« So stand sie im Lampenlicht, ruhig und reglos, mit dem Bündel in der Hand, wie ein Modell vor dem Maler, mit stummer Bereitwilligkeit.
Da habe ich sie mir eben angeschaut.
Ich weiß nicht, ob du sie vorhin gesehen hast … Ich habe dich zu spät aufmerksam gemacht. Du hast nur ihre Figur gesehen. Sie ist so groß wie ich. Und wohlproportioniert, weder dick noch dünn, und so war sie auch mit sechzehn, als ich sie zum erstenmal sah. Sie hat nie zu- oder abgenommen. Weißt du, so etwas wird von inneren Kräften, geheimnisvollen Gleichgewichten geregelt. Dieser Organismus brannte immer auf gleicher Temperatur. Ich sah ihr ins Gesicht und blinzelte vor einer solchen Schönheit, wie jemand, der lange im Halbdunkel gelebt hat und auf einmal ins Licht blickt. Du hast jetzt ihr Gesicht nicht sehen können. Überhaupt trägt sie seit geraumer Zeit eine Maske, eine mondäne Maske mit geschwärzten Wimpern, mit Puder, mit einem nachgezogenen Mund, mit angemalten Lidern, mit verlogenen, künstlichen Zügen. Doch damals, im ersten Schreck der Begegnung, war dieses Gesicht noch neu und unversehrt, so wie es aus der Werkstatt gekommen war. Man sah noch die Hand des Schöpfers. Es war ein vollkommen proportioniertes herzförmiges Gesicht. Jeder einzelne seiner Züge harmonierte mit den anderen. Das nennt sich Schönheit. Sie hatte schwarze Augen, weißt du, das seltsame Schwarz, das manchmal fast dunkelblau erscheint. Auch ihr Haar war so, bläulichschwarz. Und man spürte, daß dieser Körper schön gestaltet und selbstsicher war. Deshalb stand sie so selbstbewußt vor mir. Sie war aus der
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